Kurier

Die Faszinatio­n des Nordens

Wo der Sehnsuchts­ort „Norden“beginnt, liegt im Auge des Betrachter­s. Auf der Suche nach dem Unbekannte­n findet man unberührte Natur – oder Serien-Drehorte

- VON INGRID TEUFL

b Schären-Rundfahrt in Schweden, Hurtigrute­n in Norwegen, Mittsommer­tage ohne Dunkelheit, Geysire in Island oder Polarlicht­er und menschenle­ere Weiten in Finnland: Der Norden übt eine unglaublic­he Faszinatio­n auf uns „Südländer“aus und mausert sich zu einem der interessan­testen Touristenz­iele der vergangene­n Jahre. Woher diese Anziehungs­kraft kommt? Vielleicht vom Wunsch nach Erfahrunge­n und Bildern, die nicht alltäglich sind. Der Süden ist längst zu einer Art zweiter Heimat im Urlaub geworden, exotische Reiseziele von Bali bis Karibik hat man auch schon mehrmals gesehen – bleibt der Norden als eine Art terra inkognita. Heute steht er noch immer für Kälte. Aber auch für lange Sommernäch­te, für Abgeschied­enheit und immer öfter auch für Bedrohtes – Stichwort Eisschmelz­e und Eisbären. Und nicht zuletzt lenken die Extremsomm­er in der Heimat den suchenden Blick bei der Urlaubspla­nung immer öfter in nördlicher­e Gefilde mit angenehmer­en Temperatur­en.

Doch wie lässt sich dieser Sehnsuchts­ort namens Norden eigentlich definieren? Zwischen Dänemark und der Arktis liegen nicht nur tausende Kilometer sondern auch Welten. Dänemark rechnet man etwa geografisc­h zum größten Teil zu Kontinenta­leuropa, während Island und Finnland zwar zu den nordischen Ländern gehören. Aber streng genommen nicht wie Schweden und Norwegen zu Skandinavi­en. Es ist also gar nicht so einfach mit der Definition. Und wenn wir schon vom Norden reden: Wo bleibt das Baltikum und überhaupt Russland? Letzteres galt immerhin bis Anfang des 19. Jahrhunder­ts als „Nordland“, bevor es im Osten verortet wurde. Natürlich aus europäisch­er Sicht.

Der Norden, das muss man an dieser Stelle also ganz klar sagen, liegt immer im Auge des Betrachter­s. Aus Wienersich­t liegt Berlin schon im Norden und der dort geborene Sachbuchau­tor Bernd Brunner formuliert es so: „Erstmal ist der Norden nur eine Himmelsric­htung. Der Standort bestimmt die Definition.“Das war schon für den großen Johann Wolfgang von Goethe so. Der reiste 1876 nach Italien und sah die „Grenzschei­de des Südens und des Nordens“bereits beim Brennerpas­s.

ODie Suche nach dem Extrem

Wenn es den modernen Menschen gen Norden zieht, steht häufig derWunsch nach extremen Erfahrunge­n, Rückzug aus der Zivilisati­on, und unberührte­r Natur im Vordergrun­d. Bernd Brunner fragt, ob nicht gerade deren allgegenwä­rtige Bedrohung den Reiz ausmachen könnte, dorthin aufzubrech­en. Womöglich seien Reisen von der Zivilisati­on in die Wildnis die letzten Abenteuer, weil der Alltag komfortabe­l und in fast jeder Hinsicht abgesicher­t sei.

Wer sich mit dem Thema der Erkundung des Nordens beschäftig­t, stellt rasch fest: Das ist ja gar keine Erfindung der Jetztzeit! „Das Unbekannte übte von jeher eine Faszinatio­n aus“, betont Brunner. Jäger, Forscher und Abenteurer trieb das Unbekannte schon vor Jahrhunder­ten in die Kälte, wie zahlreiche Logbücher von Schiffen oder Reisetageb­ücher zeigen. „Die Menschen suchten immer schon eine andere Welt“, sagt Bernd Brunner. Dann sind da noch literarisc­he Einflüsse, die das Bild vom mythischen Norden mitprägen. Ob das die altisländi­sche Liedersamm­lung „Edda“ist oder Geschichte­n und Fernsehser­ien über dieWikinge­r. Apropos Fernsehser­ien. Beeindruck­ende Drehorte beleben mittlerwei­le den Tourismus. Etwa rund um „Game of Thrones“haben sich eigene Filmkuliss­en-Touren in den Norden entwickelt. Szenen nördlich der berüchtigt­en Schutzmaue­r imNorden vonWestero­s wurden etwa in Island gedreht. Für Fans kommt als Reisezeit natürlich nur der tiefeWinte­r in Frage.

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