Dichtung und Politik
Wissen Sie, was ein „Topos“ist? Ichweiß es, denn ich hab’s nachgeschlagen. Ein Topos ist ein festes Schema, eine feste Formel, ein feststehendes Bild. Zum Beispiel „Thomas Bernhard imWirtshaus“ist ein Topos.
Da saß er, der Dichter vonWeltrang, imWirtshaus in einer Ecke, das Volk skeptisch, aber interessiert beobachtend. Sagenwir, umden Topos zu vervollständigen, dasWirtshaus – mit Thomas Bernhard drin – lag in einem dieser oberösterreichischen Orte, die einen so schönen Namen tragen. Ich nehme Geboltskirchen, aber nein, da wir schon im Hausruckviertel sind, nehme ich besser Gaspoltshofen, auchweil der Name leichter in der Redeweise einer Bernhard-Figur über die Bühne kommt: Gaspoltshofen! Das ist dochwas für einen Theatermacher.
Ja, undwenn ich schon in Gaspoltshofen bin, dann nehme ich den Gasthof Klinger, denn Thomas Bernhard hat ihn tatsächlich besucht. Ich stelle mir vor, er saß in der Gaststube und bestellte Frittatensuppe, nichtweil er Frittatensuppe mochte, sondern weil die Aussprache dieser Suppe einschlägig, also entschieden und bockig klingen kann.
Meine größte Lebensleistung in der Kulinarikwar der Versuch, deutschen Touristen in Salzburg zu erklären, was Frittaten sind. Sie lasen einander aus der Speisekarte immerwieder „Frittatensuppe“vor und blickten verständnislos um sich. Da dies zu einer Zeitwar, da die Salzburger noch keineswegs, ach, unter den vielen Touristen litten, fiel ich den Einheimischen nicht in den Rücken, als ich Auskunft gab und die Frittaten verzweifelt als „geschnetzelten Pfannkuchen“definierte.
In Gaspoltshofen beim Klinger empfing Thomas Bernhard auch seine Entourage: sicher Claus Peymann, vielleichtwar auch Krista Fleischmann dabei, die Fernsehredakteurin, der wir die wunderbarsten Interviews mit dem nicht selten unzugänglichen Dichter verdanken. Ich habe keine Ahnung, ob es sowar oder ganz anders. Ein Topos ermöglicht seine Ausschmückung, Hauptsache, die aufsehenerregende Grundkonstellation bleibt sich gleich: Thomas Bernhard imWirtshaus.
2018 hat „einWirtshausführer“, für den so genannte „Kulinarik-Redakteure“1.000 Lokale geprüft haben, den Klinger zum Gasthaus des Jahres gewählt. Das Besondere amKlinger ist, dass er einemWunsch vieler Leute entgegenkommt: erstklassiges Essen und zugleich eine Langasthausatmosphäre ohne manierierte Umstände.
Im Sommer hat das Lokal einen biedermeierlichen Garten, undwenn Schweinebraten auf der Speisekarte steht, schlage ich ihn vor und – wir schaffen das – als Vorspeise Lasagne, die als schwere Kost gut schmeckt. Amschwersten ist die KlingerTorte, extra ihretwegen hat das blödeWort „Kalorienbombe“am Ende doch einen Sinn. Wolfgang Klinger, derWirt, ist Landesrat der FPÖ, und einmal ist er einer der Einzelfälle seiner Partei gewesen. Er hat etwas über „Mischkulturen“gemeint, und man hat ihn dafür in die Auslage gestellt. Einerseits zurecht, anderseits aber – denkt man an manches von dem, was Kickl von Amts wegen verlautbarte – doch als Bauernopfer. Ich hebe ein GlasWeißwein, eines von Bründlmayer, und proste über die Entfernungen unserer Weltanschauungen hinweg dem Landesrat und Bürgermeister von Gaspoltshofen zu. Gasthof Klinger
Jeding 1, 4673 Gaspoltshofen
Tel. 07735/69 13, gasthof-klinger.at geöffnet Mi–Sa 11.30–14 und 17.30–24 Uhr, Sonn- und Feiertag nur mittags, (warme Küche 11.30–13.30 und 18–21.30 Uhr)