Victoria, Musical-Katze
Kritik. Andrew LloydWebbersMusical-Welthit „Cats“imRonacherweckt nostalgische Gefühle
Der Bühnenhit „Cats“wird im Ronacher von einer routiniertenMaschinerie abgeschnurrt.
Was ist der Unterschied zwischen einer Katze und einer Lüge? Nur neun Leben hat die Katz, sagteMark Twain.
Unverwüstlich ist „Cats“, das erfolgreichste Musical aller Zeiten mit bisher mehr als 73 Millionen Besuchern in 30 Ländern. 36 Jahre nach der deutschsprachigen Erstaufführung sind die singenden Samtpfotenwieder inWien.
Sie schnurren, kreischen, schmusen und buckeln in altbekannter Optik. Die Aura des bis in kleinste Detail von Kostüm, Maske und Gillian Lynnes Choreografie festgeschriebenen Originals darf nicht fehlen. Eigenartig nur, dass das bei „Cats“weit in den Publikumsraum drapierte Schrottplatz-Bühnenbild im eigentlich größeren Ronacher sehr viel beengter wirkt als seinerzeit im kleineren Theater an derWien.
„Jellicle Cats“
Die nicht vorhandene Handlung ist so simpel, wie die Verse aus „Old Possum’s Katzenbuch“von Literaturnobelpreisträger T. S. Eliot putzig sind – im englischsprachigen Raum Standard-Kinderlesestoff wie Lewis Carrolls „Alice imWunderland“.
Die „Jellicle Cats“, eine Verniedlichung für „Little Cats“, treffen sich einmal im Jahr zum Jellicle Ball. Dabei werden allerlei Charaktere vorgestellt, von der eleganten weißen Victoria über die beleibte Hausschnurrerin Gumbie und den nicht dünneren Feinschmecker Bustopher Jones bis zum Bösewicht Macavity. Der entführt den alten Deuteronimus ... Und am Ende kann Grizabella vom Aschenputtel wieder zur Prinzessin aufsteigen und zwecks Wiedergeburt in den Kleintierhimmel entschwinden. Natürlich tanzen und schleichen die Katzendarsteller in allen Fellfarben und Formen wie einst durch die Publikumsreihen im Parkett und werfen sich in Pose. Der angestrebte Wiedererkennungseffekt stellt sich prompt ein. Nicht mehr Gänsehaut wie in den 80ern. Aber ein Gefühl der Nostalgie. Erinnerungenwerden angeknipst.
Der Deutsche Dominik Hees zeigte in „Cats“schon 2012 als rockiger Draufgänger und FrauenschwarmRum Tum Tugger den lasziven Hüftschwung. Aber den größten Applaus vor der Pause erntet doch das Gaunerpärchen Mungojerry (Alexander Auler) and Rumpleteazer (Anna Carina Buchegger).
Ein Routinier auch Felix Martin als alter Theaterkater Gus. Und der junge Kanadier Stephen Martin Allan ist als magischer Zauberkater Mr. Mistoffelees ein Flickflack schlagenderWirbelwind.
„Memory“hat schon Barbra Streisand gesungen. Und AngelikaMilstermit der Rolle der Grizabella eine Karriere begründet. Bei Ana Milva Gomes hat der Evergreen beim ersten Mal fast schon zu viel an Zurückhaltung und dann als Höhepunkt eine mit Schluchzern unterfütterte Rührseligkeit, die das Süßliche in Andrew LloydWebbers Klangkosmos unterstreicht.
Retro pur
Niveau hat die Produktion gewiss. Sie wird auch durch Regie-Legende Trevor Nunn nie zum Katzenjammer. Die deutschen Texte von Michael Kunze sind frei von Peinlichkeiten. Aber die Arrangements nicht frei von unnötig beigemischten Electronic Sounds.
Also muss man schon ein bisschen maunzen, mangelt es dem mit altbewährten Effekten und neuem Cast aufgekochtenMusical-Geniestreich von Andrew Lloyd Webber am Ende doch an Atmosphäre. An Ausstrahlung.
Da schnurrt eine gut geölte Maschinerie ab. Zu bewundern ist die phänomenale Leistung des Ensembles, das Akrobatik bis hin zum gestreckten Salto rückwärts zeigt, atemberaubend tanzt, steppt, ballettiert. Das zweifellos einen hohen Grad an Perfektion erreicht. Aber beim Zuseher nicht das Herz trifft – oder gar erwärmt.
Eine Show ohne Showstopper. Ein Abend ohne Wow! Aber mindestens so kurzweilig wie ein Dutzend Katzen-Videos auf YouTube.