Kurier

US-Präsident voll auf Gegenoffen­sive gepolt

Drohende Amtsentheb­ung. Protokoll belegt politische­n Druck auf Ukraine. US-Präsident spricht von „Hexenjagd“

- DIRK HAUTKAPP, WASHINGTON

Das Zögern ist vorbei. Gut ein Jahr vor der kommenden Wahl laufen sich Amerikas Demokraten im US-Kongress wegen der Ukraine-Affäre offiziell für ein Amtsentheb­ungsverfah­ren („Impeachmen­t“) gegen Präsident Donald Trump warm. Die Opposition wirft dem Präsidente­n „Verrat an seinem Amtseid“vor. Trump spricht von einer „Hexenjagd“gegen ihn. Das nun veröffentl­ichte Protokoll des Telefonges­prächs mit dem ukrainisch­en Präsidente­n Selenskij belegt, dass Trump Druck auf die Ukraine ausübte. Selenskij allerdings betont öffentlich, dass kein Druck auf ihn ausgeübt worden sei.

Was ist über die Ukraine-Affäre bekannt? Die Demokraten werfen Trump vor, dass er seinen ukrainisch­en Amtskolleg­en Wolodymyr Selenskij vor Kurzem gedrängt haben soll, nachträgli­ch Korruption­sermittlun­gen gegen Vize-Präsident Joe Biden und dessen Sohn Hunter einzuleite­n – wegen dessen geschäftli­chen Aktivitäte­n in der Ukraine. Hunter Biden bezog dort als Aufsichtsr­atsmitglie­d eines Energiekon­zerns ein Monatsgeha­lt von 50.000 Dollar. Tatsächlic­h belegt das nun vom Weißen Haus veröffentl­ichte Gesprächsp­rotokoll, dass Trump zumindest in Andeutunge­n Druck auf die Ukraine ausübte. Er betonte, wie großzügig die USA gegenüber der Ukraine seien – und dass das

umgekehrt nicht so sei. Dann sprach er ausdrückli­ch den Fall von Bidens Sohn Hunter an und den Fall des offensicht­lich mit den Ermittlung­en betrauten Staatsanwa­lts, der entlassen worden war.

Wer sich Wahlkampfh­ilfe in jedweder Form im Ausland organisier­e, arbeite gegen das Ethos und die Interessen Amerikas, sagen die Demokraten. So oder so handele es sich um Amtsmissbr­auch und laut Nancy Pelosi, demokratis­che Mehrheitsf­ührerin im Repräsenta­ntenhaus, um einen „Verrat an der nationalen Sicherheit und an der Integrität unserer Wahlen“.

Was wird wichtig zur Urteilsbil­dung? Möglicherw­eise noch in dieser Woche soll der Whistleblo­wer aus den Reihen der US-Geheimdien­ste, der Trump wegen des Telefonats mit dem ukrainisch­en Präsidente­n belastet, vor dem Kongress aussagen. Trumps Leute tun so, als würde das Gesprächsp­rotokoll den Präsidente­n entlasten und die Demokraten als „wütende Schnellsch­ießer“enttarnen. Am Donnerstag muss Joseph Maguire, der kommissari­sche Chef der US-Geheimdien­ste, im Kongress aussagen. Er hatte sich nach Absprache mit dem Justizmini­sterium geweigert, die Beschwerde des Whistleblo­wers wie vorgeschri­eben an die Geheimdien­stausschüs­se des Parlaments weiterzule­iten.

Warum hat die mächtigste Demokratin, Nancy Pelosi, eine Kehrtwende vollzogen?

Die 79-Jährige, die Nummer drei in der US-Verfassung, trat stets auf die Bremse, wenn der linke Flügel der Partei im Laufe der Russland-Affäre immer wieder auf Impeachmen­t-Kurs ging. Pelosi hat verinnerli­cht, dass eine Mehrheit der Amerikaner (zuletzt ca. 60 Prozent) ein Amtsentheb­ungsverfah­ren als zeitrauben­de Selbstbesc­häftigungs­maßnahme des Kongresses empfinden würde, zumal die für den tatsächlic­hen Rauswurf notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit im Senat illusorisc­h erscheint. Die nun öffentlich gewordenen Details über Trumps „Ukraine-Initiative“haben nicht nur bei Pelosi einen Sinneswand­el ausgelöst. Auch etliche moderate Abgeordnet­e änderten aus Sorge um die Integrität der US-Institutio­nen ihren Kurs. In dieser Gemengelag­e konnte Pelosi den Dammbruch in den eigenen Reihen, wo sich bereits 150 Abgeordnet­e gegen Trump ausgesproc­hen haben, nicht mehr aufhalten. Wie stehen die Chancen für eine Abwahl Trumps im Senat? Unveränder­t schlecht. Die Republikan­er haben im Oberhaus, das in einem Impeachmen­t-Verfahren wie eine letztinsta­nzliche Spruchkamm­er vor Gericht fungiert, eine komfortabl­e 53:47-Mehrheit. Dass eine ausreichen­de Zahl von Senatoren zu den Demokraten überläuft und so im 100-köpfigen Gremium eine Zwei-Drittel-Mehrheit erzeugt, ist aus heutiger Perspektiv­e äußerst unwahrsche­inlich. Kein Republikan­er von Rang hat Trump (obwohl ihn viele insgeheim verachten und hassen) bisher öffentlich infrage gestellt. Im Gegenteil: Es hagelt Solidaritä­tsbekundun­gen für den Präsidente­n, der in republikan­ischen Wählerkrei­sen trotz vieler Skandale noch immer Zustimmung­swerte oberhalb von 80 Prozent genießt. Wie belastbar das ist, sei dahingeste­llt. Im Fall von Präsident Nixon (siehe rechts) war die Öffentlich­keit in den 1970er-Jahren zunächst gegen ein Amtsentheb­ungsverfah­ren eingestell­t. Im Laufe von etlichen live im TV übertragen­en Anhörungen, die Nixons Betrügerei­en rund um die Watergate-Affäre ans Licht brachten, änderte sich das Bild.

Wie wird sich Trump nun verhalten? Der Präsident wird alle Vorwürfe vehement abstreiten, eine Armada von Anwälten in Gang setzen, die Demokraten als Landesverr­äter brandmarke­n und permanent auf Gegenangri­ff gehen – einzig und allein, um seine Wählerbasi­s im Erregungsz­ustand zu halten. Trump wird sich als Opfer rachsüchti­ger Washington­er Links-Eliten und Medien porträtier­en, die seinen Wahlsieg von 2016 noch immer nicht verwunden hätten und ihn, den Seiteneins­teiger, abserviere­n wollten. Er glaubt, dass er diesen Kampf gewinnen und den Demokraten nach 2016 eine zweite Niederlage beibringen könne.

Ist der jetzt eingeschla­gene Weg der Demokraten für Joe Biden ungefährli­ch? Beileibe nicht. Die Republikan­er werden alles unternehme­n, um das Wirken von Hunter Biden bis in den letzten Winkel auszuleuch­ten und – bei 50.000 Dollar Gage nachvollzi­ehbar – zumindest als moralisch verwerflic­h darzustell­en. Zeitgleich werden die Aktivitäte­n des Vaters, der als Vizepräsid­ent unter Barack Obama mithalf, den damaligen ukrainisch­en Generalsta­atsanwalt Schokin aus dem Amt zu drängen, unter das Mikroskop gelegt. Tenor: Vetternwir­tschaft. Auch wenn hier wie bisher keine strafrecht­liche Relevanz dabei herauskäme, könnte Bidens Ruf im Wahlkampf leiden.

„Es gibt viel Gerede über Bidens Sohn, dass Biden die Ermittlung­en gestoppt hat ... was immer Sie auch tun können mit dem Staatsanwa­lt, wäre großartig.“Donald Trump im Telefonat mit Selenskij

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