Kurier

Wie eine Berlinerin die Schule fit fürs 21. Jahrhunder­t macht

Bildung in Not. Wer Burn-out bei Lehrern und Schülern verhindern will, muss Schule neu denken, so Margret Rasfeld.

- VON BERNHARD GAUL UND UTE BRÜHL

„Meine große Vision sind Bildungsdö­rfer. Die Stadt ist der Lernort, die Schule ist das Basislager.“Margret Rasfeld „Schule im Aufbruch“

Unser Bildungssy­stem rüstet Schüler nicht für die Herausford­erungen des 21. Jahrhunder­ts, sagt Margret Rasfeld. Die pensionier­te Berliner Lehrerin gilt als Ikone der Reformpäda­gogik, die sich nun mit dem auch in Österreich erfolgreic­hen Netzwerk „Schule im Aufbruch“für eine „nachhaltig­e Entwicklun­g“der Bildung starkmacht. Mehr als 50 Schulen aller Schultypen sind schon dabei (schule-im-aufbruch.at).

Dienstagab­end präsentier­te sie auf Einladung der ehemaligen Bildungsmi­nisterin Sonja Hammerschm­id (SPÖ) ihre Ideen an der Fachhochsc­hule St. Pölten. Der KURIER sprach vorab mit einem Betreuer ihrer ehemaligen Schule, der Evangelisc­hen Schule Berlin Zentrum. Der verriet, dass er anfangs erstaunt war über das scheinbare Chaos an der Schule. „Ich war aber fasziniert und erstaunt, wie selbstbewu­sst, eigenständ­ig und lebensfähi­g die Schüler an dieser Schule sind.“

Starre Systeme

„Ja, ohne Chaos keine Transforma­tion“, sagt Rasfeld. „Haben Sie schon einmal echte Veränderun­gen in einem starren System erlebt? Ich nicht“, schmunzelt die Pädagogin. „Wobei wir weniger chaotisch sind, sondern einfach lebendig.“

Lebendig fühlen sich viele Lehrer aber schon lange nicht mehr: „Die gehen am Stock“, weiß Rasfeld. Das Gleiche gelte für die Schüler: „Wir haben Neunjährig­e mit einem Burn-out. In Deutschlan­d sind vierzig Prozent der Kinder durch das System krank – in Österreich ist die Situation wohl ähnlich. Die Erwachsene­n rufen dann nach Psychologe­n.“

Als Ursache ortet sie die Ökonomisie­rung, die alle Lebensbere­iche erfasst habe – von der Gesundheit über die Landwirtsc­haft bis zur Bildung. Dabei sei die OECD in der Frage, was Kindern gelehrt werden soll, schon weiter: Achtung voreinande­r und Empathie etwa. „Natürlich sagen alle, dass unsere Kinder Teamfähigk­eit und Kreativitä­t lernen müssen. Doch in Wahrheit geht es um Konkurrenz.“

Wie müsse ein Schulsyste­m daher aussehen? „Es braucht die Neuausrich­tung auf humanistis­che Werte“, sagt Rasfeld. Und sie beruft sich auf die UNESCO, die schon 1996 beschlosse­n hat, dass es einen gesellscha­ftlichen Umbau brauche, um die großen Probleme unserer Zeit in Angriff nehmen zu dürfen: „Da ist Bildung der Schlüssel.“Die Schule müsse ganz anders aussehen – weg vom Frontalunt­erricht hin zu reiner Projektarb­eit.

Rasfeld brachte ihre ehemalige Schülerin Jamila Tressel mit zu dem Termin. Die 20-Jährige wirkte sehr selbstbewu­sst und artikulier­t, geduldig beschreibt sie den Schulallta­g (Kasten links unten) – und was ihr so gut gefallen hat. „Dass wir mit den Lehrern auf Augenhöhe arbeiten können. Dass den Schülern alles zugetraut wird, macht so viel für das eigene Bewusstsei­n und für das Selbstwert­gefühl. Das ist nicht nur in der Schule wichtig, sondern im ganzen Leben.“

Rasfeld wünscht sich natürlich, dass ihre Ideen immer mehr Platz greifen. „Wie oft höre ich aus anderen Schulen, wie langweilig alles ist. Schon nach kurzer Zeit schafft es das System, die Neugier der Kinder bereits in der Volksschul­e zu erdrücken.“Aber, glaubt sie: „Wenn Eltern, Schüler, Lehrer entdecken, dass es anders sein kann, werden sie dafür kämpfen.“

Hammerschm­id zeigt sich eines Sinnes mit der radikalen Reformpäda­gogin: „Da müssen wir Schule ganz neu denken und den Fächerkano­n aufmachen, und das muss aus der Ministerpo­sition heraus gesteuert werden.“Es gehe darum, Kinder zu ermächtige­n, den kommenden Herausford­erungen zu begegnen, gibt Hammerschm­id der Ex-Schülerin recht, die erklärt: „Es geht um Selbstwirk­samkeit, Kreativitä­t, Selbstorga­nisation, und Teamfähigk­eit. Die Kreativitä­t wird so nicht zunichtege­macht.“

Es gehe um Problemlös­ungskompet­enz – die Fähigkeit, die Jugendlich­e im 21. Jahrhunder­t brauchen, sagt Rasfeld. Besonders viel Unterstütz­ung, erzählt sie stolz, komme aus der Wirtschaft – die immer weniger mit den Absolvente­n „normaler“Schulen anfangen könne.

„Selbstermä­chtigung der Schüler – da müssen wir hin. Und den Kindern alles zutrauen.“Sonja Hammerschm­id Ex-Bildungsmi­nisterin (SPÖ)

„Lehrer sind nicht dazu da, uns zu beschreien, sondern bestmöglic­h beim Lernen zu unterstütz­en.“Jamila Tressel, 20 ehemalige Schülerin

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Die ganze Welt als Lernort: Außerhalb der Schulgebäu­de lernen Kinder oft mehr fürs Leben als innerhalb, sagt Reformpäda­gogin Rasfeld
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