Warum die tiefen Zinsen mehr Probleme schaffen als lösen
Allianz-Chefvolkswirt. Die Europäische Zentralbank hat laut Michael Heise ihr Pulver verschossen. Jetzt wäre die Politik gefragt, um die Konjunktur am Laufen zu halten.
Die Konjunktur entwickelt sich sowohl global als auch in Österreich langsamer als zuletzt. Das zeigen Zahlen des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo. Das Wachstum betrug im zweiten Quartal zum Vorquartal 0,3 Prozent (siehe Grafik). Das ist der schwächste Quartalszuwachs seit Anfang 2015. Der private Konsum war abermals kräftig, während sowohl die Investitionen als auch die Außenwirtschaft an Fahrt verloren, teilte das Institut mit. Zudem wuchs Österreichs Wirtschaft im Vorjahr weniger stark als bisher angenommen. Laut Statistik Austria stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2018 real um 2,4 Prozent und nicht wie bisher von Wifo und IHS bis zuletzt geschätzt um 2,7 Prozent.
„Über den Sommer hat sich die Weltwirtschaft weiter eingetrübt“, bestätigt Michael Heise, Chefvolkswirt der deutschen Allianz Versicherung bei einem Besuch in Wien. Die Gründe seien die allseits bekannten: der drohende Brexit, die Lage in Italien und der Handelskonflikt, wobei die US-Wirtschaft selbst sich als relativ robust erweise.
Geht es mit der Konjunktur abwärts, so reagieren Notenbanken in der Regel mit Zinssenkungen, um die Wirtschaft mit billigerem Geld zu stimulieren. Doch die Europäische Zentralbank (EZB) habe ihr Pulver bereits verschossen, stellt Heise fest.
„Die Geldpolitik hat ihr Ziel verfehlt, zugleich aber gibt es sehr starke Nebenwirkungen.“Diese würden die Stabilität der Finanzmärkte gefährden, weil die Risikobereitschaft der Anleger erhöht werde. Beispiel Anleihenmarkt: Viele Papiere werden mit negativen Renditen auf den Markt gebracht. Wer Gewinn erzielen will, muss eine höhere Ausfallsgefahr in Kauf nehmen. Beispiel Immobilien: Die Preise steigen schneller als die Einkommen. „Die Millennials haben echte Schwierigkeiten, Wohnraum zu schaffen“, so Heise. Beispiel Altersvorsorge: Wegen der geringen Verzinsung wird in der Pension weniger abfallen. Und Beispiel Sparen: „Die Wohlhabenden profitieren mehr, weil sie Wertpapiere und Immobilien besitzen. Während die unteren Einkommensschichten aufs Sparbuch setzen.“
Ratschläge
Heise hat daher zwei Ratschläge parat: zum einen an die EZB, ihre Strategie zu überprüfen. Lobende Worte findet er dabei für den neuen Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank Robert Holzmann. „Das Inflationsziel der EZB von derzeit knapp zwei auf 1,5 Prozent zu reduzieren, ist ein sehr sinnvoller Gedanke.“So wären Zinserhöhungen möglich gewesen und diese hätten die Marktverzerrungen gedämpft. Zum anderen rät er der Politik, zu handeln. „Strukturreformen sind in jedem Land möglich, ohne neue Schulden zu machen.“