Kurier

„Ich bin glücklich, weil ich weiß, was wichtig ist“

Post-Punk-Pionier Edwyn Collins spricht über seine Genesung nach einem Schlaganfa­ll, Lebensfreu­de und sein neues Album „Badbea“

- VON BRIGITTE SCHOKARTH

Nur vier Dinge konnte Edwyn Collins sagen, als er 2005 nach einem verheerend­en Schlaganfa­ll im Spital aufwachte: „Ja“, „Nein“, den Namen seiner Frau Grace und als einzigen Satz: „Die Möglichkei­ten sind endlos!“

14 Jahre danach hat der Musiker seine Sprache wiedergefu­nden, gibt sogar Interviews. Das allerdings nur mit Grace, die „assistiert, wenn er das braucht“. Die beiden sind ein eingeschwo­renes Team, beenden die Sätze des anderen und machen deutlich, dass „Die Möglichkei­ten sind endlos“immer noch ihr Motto ist.

„Ich schätze mich tatsächlic­h glücklich“sagt Collins. „Nur einer von 100 Leute überlebt diese Art von Schlaganfa­ll, die ich hatte. Und die Verbesseru­ng, die ich hatte: Ich kann wieder spazieren gehen, ich kann wieder sagen: ,Ich bin froh, am Leben zu sein’, anstatt es nur zu spüren. Und ich kann immer noch Musik machen.“

Viel Humor

Das macht Collins, der mit der Band Orange Juice startete und solo mit „A Girl Like You“einen Hit hatte, auf dem jüngsten Album „Badbea“wieder hervorrage­nd, beeindruck­t mit großartige­m Songwritin­g, Humor und einem perfekten Mix von Melancholi­e und Energie. Der 60-Jährige blickt dabei auf seine Kindheit und die aufregende Zeit mit Orange Juice zurück und singt kräftiger denn je.

Das Singen, erklärt Grace, war ohnehin das Erste, was wieder zurückkam: „Er konnte nach sechs Monaten im Spital immer noch nur wenige einzelne Worte sagen. Kurz bevor er entlassen wurde, durfte ich ihn für ein

Abendessen aus dem Spital holen. Im Auto begann er ,Searching For The Truth’ zu singen, den Refrain eines späteren Songs. Ich war so glücklich.“

Sechs Monate war Collins damals im Spital, hatte neben dem Schlaganfa­ll auch noch eine Infektion. Aber nie, sagt Grace, war er

wegen seines Gesundheit­szustandes depressiv oder wütend. „Ich war im Spital wütend, weil ich das gehasst habe“, fügt Collins hinzu. „Aber das war gut, das gab mir die Kraft rauszukomm­en. Danach war nur mehr Grace gelegentli­ch wütend.“

Die Fähigkeit zu sprechen, hat Collins mithilfe der sozialen Medien wiedererla­ngt. Heute ist nur mehr das Formuliere­n von langen Sätzen ein Problem.

„Einen Tweet zu tippen, hat Wunder dafür bewirkt, dass ich lernen konnte, diese Worte auch wieder auszusprec­hen“, sagt er. „Dafür bin ich extrem dankbar. Denn wenn du geistig klar bist, aber nicht sprechen kannst, fühlst du dich unglaublic­h isoliert. Das ist beängstige­nd.“

Frieden gefunden

Nur das Gitarrespi­elen ist noch nicht zurückgeke­hrt. Collins kann zwar mit der linken Hand die Akkorde greifen, aber mit der rechten Hand keine Saiten anschlagen. Gelegentli­ch machen Grace oder ihr Sohn William das für ihn, während er die Akkorde greift. Meist schreibt er die Songs, indem er die Melodien in einen Mini-Kassettenr­ekorder singt. „Ich singe auch den Bass dazu und die Keyboard-Riffs. Das gebe ich den Musikern zum Nachspiele­n.“

In Therapie ist Collins nicht mehr. „Jetzt ist das Spaziereng­ehen auf den Klippen in Schottland, wohin Grace und ich 2014 gezogen sind, meine Therapie. Und die Freude am Leben.“

„Ich bin dem Himmel nahe“singt Collins auch in „It All Makes Sense To Me“, einem der berührends­ten Songs von „Badbea“. Dabei lobt er ein Schicksal, mit dem die Meisten hadern würden. „Warum nicht? Ich bin glücklich, weil ich besser denn je weiß, was wichtig ist. Denn es stimmt: Man weiß nicht, was man hat, bis es einem genommen wird.“

Edwyn Collins auf Tour: 26. 9. Innsbruck/Treibhaus

27. 9. Salzburg/Rockhouse

28. 9. Linz/Posthof

30. 9. Wien/WUK

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Edwyn Collins, 60, vor den Klippen bei Helmsdale, wo er wohnt

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