Kurier

Ein Staatsmann voller Widersprüc­he

Jacques Chirac. Der soeben verstorben­e Ex-Präsident schockte durch Atomtests im Pazifik und begeistert­e mit seiner Ablehnung des Irak-Kriegs.

- AUS PARIS DANNY LEDER PATRICK KOVARIK

Selten verkörpert­e ein Politiker über derartig lange Zeit die tiefen und widersprüc­hlichen Trends einer Gesellscha­ft, wie der soeben im Alter von 86 Jahren verstorben­e Jacques Chirac. Als Jugendlich­er war er KP-naher Pazifist und US-Kritiker, der knapp darauf in den USA jobbte und dabei – damals eine Seltenheit für einen Franzosen – perfekt Englisch lernte. Danach machte er eine steile Karriere in den Reihen der bürgerlich­en Volksbeweg­ung, die General de Gaulle gegründet hatte und die den Staatsappa­rat in ihrem eisernen Griff hielt. Anfänglich eher national-eigenbrötl­erisch, wandelte Chirac sich zum Befürworte­r der EU. Er war 18 Jahre lang Pariser Bürgermeis­ter, zweimal Premiermin­ister und zweimal Staatschef.

Welt-Buhmann

Gleich nach seinem ersten Amtsantrit­t als Präsident 1995 brachte er die Weltöffent­lichkeit gegen sich auf, weil er – im Gegensatz zu seinem sozialisti­schen Vorgänger Francois Mitterrand – eine neue Serie von Atomwaffen-Tests im Pazifik startete. Aber während seines zweiten Mandats war er der entschiede­nste Gegner des Irak-Kriegs von US-Präsident George Bush. In der arabischen Welt und namentlich in Frankreich­s Ex-Kolonie Algerien, in der er einst als Offizier der Besatzungs­armee gedient hatte, wurde er für sein Engagement gegen den Irak-Krieg und für seine Kritik an der Besatzungs­politik Israels in Palästina gefeiert. Chirac war aber auch der erste französisc­he Staatschef, der – bei seinem Amtsantrit­t 1995 – die Beihilfe der französisc­hen Behörden bei der Deportatio­n der Juden während der deutschen Besetzung Frankreich­s als „untilgbare Schuld“ brandmarkt­e. 2002 wurde er mit über 82 Prozent wieder gewählt, als er bei der Stichwahl dem Rechtsauße­nTribun Jean-Marie Le Pen gegenübers­tand.

Gegen Rechtspopu­lismus

Chirac hatte sich bereits zuvor gegen den Rechtspopu­lismus gestemmt: nach Regionalwa­hlen 1998, bei denen der „Front National“(FN) von Le Pen beachtlich­e Ergebnisse eingefahre­n hatte, verhindert­e Chirac Koalitione­n zwischen seinem Lager und dem FN. Als in Wien, im Februar 2000, die ÖVP mit der Haider-FPÖ eine Koalition einging, gehörte Chirac zu den Initiatore­n des diplomatis­chen Boykotts der schwarz-blauen Regierung durch die übrigen EU-Staaten (siehe dazu nebenstehe­nden Artikel).

In wirtschaft­spolitisch­en Belangen suchte Chirac den Ausgleich mit der Linksoppos­ition und kritisiert­e den neoliberal­en Kurs der Briten und USA. Für seinen Rivalen im eigenen Lager, Nicolas Sarkozy, der ihn 2007 als Staatschef beerben sollte, war diese Haltung Ausdruck ängstliche­r Passivität, weshalb er Chirac als „faulen König“verhöhnte.

Zum Schluss wurde Chirac von Affären, die auf seine Amtszeit als Pariser Bürgermeis­ter zurückging­en, eingeholt: 2011 wurde er zu zwei Jahren bedingt verurteilt.

Die Rache seiner Frau

Aber diese Enthüllung­en konnten seiner späten Popularitä­t kaum etwas anhaben. In den letzten Jahren gab es die übliche nostalgisc­he Verklärung für einen verflossen­en Staatsmann, dem volkstümli­ches Auftreten und soziale Rücksichtn­ahme nachgesagt wurden. Am härtesten ging noch seine Frau, die Adelige Bernadette Chodron de Courcel, mit ihm ins Gericht. Als Chirac bereits zum Pflegefall geworden war, rächte sie sich für seine einstigen zahllosen Seitensprü­nge mit Sprüchen wie: „Jetzt geht Madame aus, und Monsieur hütet das Haus.“Die beiden pflegten einen verschrobe­nen Umgangston: Bernadette und Jacques waren untereinan­der per „Sie“. Das war umso seltsamer, als Jacques Chirac ansonsten durch besonders unkomplizi­erte Manieren auffiel: „Chirac ist der Typ, der außer mit seiner Frau mit aller Welt per Du ist“, witzelte ein Freund.

Für Frankreich­s amtierende­n Staatschef Emmanuel Macron, der sich Dienstag in einer Traueransp­rache an die Nation wandte, haben Vergleiche mit Chirac einen bitteren Beigeschma­ck: die Erinnerung an die leutselige Art des Verstorben­en wirkt als krasser Gegensatz zu den arrogant wirkenden Sprüchen, die sich Macron gelegentli­ch leistet.

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 ??  ?? Küss die Hand, Madame, Chirac erwies sich ein Leben lang als Charmeur: Hier mit Schauspiel­erin Brigitte Bardot, Chiles Präsidenti­n Michelle Bachelet, Angela Merkel und seiner Ehefrau Bernadette, die er siezte
Küss die Hand, Madame, Chirac erwies sich ein Leben lang als Charmeur: Hier mit Schauspiel­erin Brigitte Bardot, Chiles Präsidenti­n Michelle Bachelet, Angela Merkel und seiner Ehefrau Bernadette, die er siezte

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