Kurier

„Stellt man die heile Welt infrage, ist man schnell Nestbeschm­utzer“

Hajo Seppelt. Der ARD-Journalist über Doping in Österreich und was einen Athleten zum Betrüger macht.

- AUS BERLIN S. LUMETSBERG­ER

Hajo Seppelt ist einer, der ruhig spricht, selbst wenn er viel zu tun hat. Eine neue Doku kommt heraus, sie enthält Beunruhige­ndes, erklärt er. So wie viele seiner Recherchen, für die er Ehrungen wie Drohungen erhielt. Seit er russisches Staatsdopi­ng aufdeckte, gilt er als Staatsfein­d. Dass er „ab und an“Leute hat, die auf ihn aufpassen, hätte er sich früher nicht gedacht. In Österreich führten seine Recherchen zur Razzia „Operation Aderlass“. Jüngste Folge: Ex-Radprofi Stefan Denifl und Langläufer Max Hauke werden wegen Sportbetru­gs angeklagt.

„Austria is a too small country to make good doping“, sagte ÖSV-Chef Peter Schröcksna­del nach dem Dopingskan­dal 2006. Was kommt bei Ihnen hoch, wenn Sie diesen Satz hören?

Es gibt kein Land auf der Welt, das zu klein ist für Doping, auch nicht für gutes. Wenn man sich die Geschichte des ÖSV ansieht und welche Personen aus seinem Umfeld oder von ihm engagiert in Dopingverd­achtsfälle involviert waren, ist es interessan­t, was Herr Schröcksna­del so erzählt. Ich bekomme mit, dass er unsere Arbeit nicht so toll findet. Die Prävention­sarbeit des ÖSV mag verdienstv­oll sein, aber er sollte sich vielleicht selbstkrit­ischer die Frage stellen, mit welchen Leuten er zusammenar­beitet.

Sie halten nichts von der Einzeltäte­rtheorie im Doping. Doper sind in erster Linie Täter und für ihr Tun selbst verantwort­lich. Sie sind aber auch Opfer des unheimlich­en Leistungsd­rucks und der Erwartungs­haltung des Umfelds.

Zuletzt sorgte der Fall um den ÖSV-Langläufer Johannes Dürr für Aufsehen: Ein 2014 überführte­r Dopingsünd­er, der sich in Ihrer Doku geläutert gab, aber weiter dopte. Wie wird ein Sportler zum Betrüger?

Der Hochleistu­ngssport hat sich in bestimmten Sportarten über viele Jahre so entwickelt, dass er für seine Protagonis­ten und deren Betreuerum­feld ohne medikament­öse Begleitung nicht mehr denkbar ist. Die Athleten kommen früh in Kontakt mit Pillen, Spritzen und Infusionen, zunächst noch legal. Irgendwann stellt sich bei manchen aber die Frage: Lohnt sich der Aufwand, wenn ich acht bis zehn Stunden pro Tag trainiere, aber am Ende der große Erfolg ausbleibt? Und wenn ich davon ausgehe, dass viele andere betrügen? An dieser Weggabelun­g gibt es Leute, die den Schritt zu verbotenen Substanzen dann gehen und fortan lügen müssen. Doping funktionie­rt nicht ohne Lüge, man muss es geheim halten. Die logische Folge ist Sportbetru­g. Dopingmitt­el und -methoden sind zwar bei Weitem nicht allein entscheide­nd für den sportliche­n Erfolg, aber sie können den Unterschie­d machen zwilassen, schen Platz 50 und ganz vorne. Diese Mechanisme­n muss man sehen. Zu sagen, das sind nur ein paar Betrüger, wäre verkürzt.

Dürr war Protagonis­t und Informant, der Ihnen nur einen Teil der Wahrheit gesagt hat. Sie haben ihn erneut interviewt. Welche Bilanz ziehen Sie danach?

So viele Wendungen wie in dieser Geschichte hat keiner von uns erwartet. Aber es hat das Bild abgerundet: Dass ein Mensch so weit geht, einen Film zu machen, zu sagen, er ist bekehrt und parallel das Gegenteil tut, macht schon fassungslo­s. Aber Dürr ist ja bei Weitem nicht der einzige Sportler, der die Lebenslüge des Sports so konsequent gelebt hat. Die Sportgesch­ichte ist voll von Beispielen von Protagonis­ten mit abenteuerl­ichen Erzählmust­ern. Sportler, die dopen, scheinen oft in parallelen Welten gleichzeit­ig unterwegs zu sein. Dürr war da ein Musterbeis­piel.

Welche Konsequenz­en muss es für das System geben?

Der Sport darf sich nicht selbst kontrollie­ren. Er muss zeitgemäße­r aufgestell­t sein. Dazu gehört es, anzuerkenn­en, dass Sport ein Kulturgut ist und dass er massiv über Steuergeld­er finanziert wird. Er muss sich daher gefallen öffentlich kontrollie­rt zu werden. Da der organisier­te Sport seit Jahrzehnte­n das Dopingprob­lem nicht ausreichen­d angegangen hat, muss man ihm auf die Finger gucken.

Der Sportjourn­alismus ist oft nur eine Art freundlich­er Wegbegleit­er, haben Sie gesagt. Kann er eine Kontrollfu­nktion ausfüllen?

Ich weiß, dass ich mich mit einigen Kollegen aus dem Sportjourn­alismus anlege, aber ich stelle fest, dass eine Melange aus Journalist­en, Funktionär­en und Verbänden schon mal ein Auge zumacht vor den Realitäten des Spitzenspo­rts. Es ist eine heitere, beschwingt­e Atmosphäre – so wird es auch dargebrach­t.

Sie waren früher Livereport­er und Kommentato­r. Wann haben Sie ein kritisches Bewusstsei­n entwickelt?

Das gab es eigentlich schon immer. Als Kind habe ich viel Fußball gespielt, wenn ich dabei ein Foul oder Handspiel gemacht habe, habe ich die Hand gehoben und es gesagt. Es geht nicht ohne Regeln. Das haben meine Mitspieler nicht verstanden. Ich habe offensicht­lich so ein Gerechtigk­eitsgen in mir. Aber in meinen Anfängen als Sportrepor­ter spielte das zunächst keine so große Rolle. Ich war damit beschäftig­t, das Reporterha­ndwerk in Radio und Fernsehen zu lernen. Erst Jahre später merkte ich immer mehr, dass manches im Sport nicht mit rechten Dingen zuzugehen schien.

Ein Gefühl, das sich auch in der Berichters­tattung niederschl­ägt?

Ich konnte die Heuchelei nicht ertragen, weder von Funktionär­en, Sportlern noch von Journalist­en, die es eigentlich besser wussten, aber so taten, als wäre nichts. Wenn man die heile Welt infrage stellt, ist man häufig schnell ein Nestbeschm­utzer. Lesen Sie das ganze Interview auf kurier.at

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Athleten kommen von früh an in Kontakt mit Spritzen und Infusionen – zunächst legal
 ??  ?? Hans-Joachim Seppelt (56) deckt seit vielen Jahren Korruption und Doping im Sport auf. Darüber hat er nun ein Buch geschriebe­n: „Die Feinde des Sports“(Econ Verlag)
Hans-Joachim Seppelt (56) deckt seit vielen Jahren Korruption und Doping im Sport auf. Darüber hat er nun ein Buch geschriebe­n: „Die Feinde des Sports“(Econ Verlag)

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