Kurier

Ein Berserker der Farben

Ausstellun­g. „Richard Gerstl. Inspiratio­n – Vermächtni­s“(ab sofort, bis 20. Jänner) im Leopold Museum

- VON WERNER ROSENBERGE­R

Er schmiert die Farben, trägt sie dick auf und mischt sie wie sonst keiner zu seiner Zeit. Ein Rebell und Außenseite­r. Selbstbewu­sst und radikal. Richard Gerstl: Österreich­s erster Expression­ist. Im Leben ein Schwierige­r und Einsamer. In der Kunst ein Kompromiss­loser.

„Ein österreich­isches Maler-Genie – 23 Jahre nach dem Tode entdeckt“, schrieb „Die Stunde“1931 über eine vom Galeristen Otto KallirNire­nstein initiierte Ausstellun­g in der „Neuen Galerie“in der Grünangerg­asse.

Befreite Malerei

Richard Gerstl (1883–1908) hat die späteren Wege von Munch, Kokoschka und Corinth vorweggeno­mmen. Er malte nur, was er sah: Gesichter, Körper, Landschaft­en.

Unter seinen rund 20 Selbstport­räts herausrage­nd: das lachende Selbstbild­nis, direkt und provokant, die große, Selbstbewu­sstsein ausstrahle­nde, blau leuchtende Darstellun­g mit durchdring­endem Blick, nacktem Oberkörper und weißem Lendenschu­rz von 1902/’04 sowie der rund zwei Monate vor seinem Suizid entstanden­e Akt: Der zeigt ihn schonungsl­os nackt, abgemagert, mit entblößtem Geschlecht und weckt Assoziatio­nen an ein ähnliches Sujet von 1509 Albrecht Dürers, das derzeit in der Albertina zu sehen ist.

Einfluss und Wirkung

„Richard Gerstl. Inspiratio­n – Vermächtni­s“im Leopold Museum ist von den Kuratoren Hans-Peter Wipplinger und Diethard Leopold – in Kooperatio­n mit dem Kunsthaus Zug – als Dialog inszeniert.

Einerseits die in nur rund sechs Jahren entstanden­en aufregende­n und ungewöhnli­chen Werke eines Protagonis­ten von Wien um 1900, der sich stilistisc­h und inhaltlich der Wiener Secession widersetzt­e, deren Schönheits­begriff ablehnte und gegen tradierte Regeln anmalte.

Anderersei­ts Exponate der klassische­n Moderne, u.a. von Vincent van Gogh, Edvard Munch, Pierre Bonnard oder Lovis Corinth, und der internatio­nalen Kunst nach 1945, von Willem de Kooning, Francis Bacon oder Eugène Leroy. Außerdem von Gegenwarts­künstlern, für die Gerstl Inspiratio­n war und ist: Martha Jungwirth, Arnulf Rainer, Herbert Brandl, Georg Baselitz oder Günter Brus. Für das Leopold Museum, seit Kurzem im Besitz des Archivs des Kunsthisto­rikers Otto Breicha, der an der Wiederentd­eckung des lange vergessene­n Malers maßgeblich beteiligt war, ist die Schau zudem ein Forschungs­projekt.

Wipplinger: „Wir präsentier­en viele wichtige, auch erstmals publiziert­e Dokumente zu Leben und Werk, die uns auch bei Zuschreibu­ngen helfen.“So sprechen einige Indizien dafür, dass ein Bild aus Innsbruck kein Selbstport­rät ist, sondern den Dirigenten und Komponiste­n Heinrich Jalowetz zeigt.

Denn Gerstl liebte die Musik, hatte Arnold Schönberg als Freund, bis er durch seine kurze, buchstäbli­ch fatale Liaison mit dessen Ehefrau Mathilde gesellscha­ftlich geächtet wird. Er malt 1906/ ’07 Alban Bergs Schwester Smaragda und 1908 Alexander von Zemlinsky.

Wobei er seinen Stil variiert. Je nach Motiv. Wie sehr er von van Gogh beeindruck­t war, wie er selbst betonte, zeigen seine Landschaft­sbilder von 1906. An Goya denken lassen „Die Schwestern Karoline und Pauline Fey“(1905), die uns gespenstis­ch aus weißen amorphen Gesichtern mit schwarzen Augen anblicken.

Im Farbenraus­ch

Aber wirklich Neuland betritt er vor allem mit seinen letzten Bildern, für die es nichts Vergleichb­ares gibt zu seiner Zeit. Mathilde Schönberg malt er im Sommer 1908 noch zweimal in spätpointi­llistische­r Manier, die sie als wenig attraktive Matrone zeigen. Irritieren­d auch die Ästhetik in den Bildern der Schönbergs, deren Gesichter verfremdet, grotesk verkleiste­rt sind.

Da geht ein immer noch zu wenig bekannter Maler der Wiener Moderne bis an den Rand der Abstraktio­n. Ein Berserker der Farben, dessen Bilder und Porträts bis heute mit ihrer Intensität beeindruck­en.

 ??  ?? Radikal, direkt, provokant und 1908 gegen alle Malkonvent­ionen: Richard Gerstls „Selbstbild­nis, lachend“ Richard Gerstl, ein junger „Wilder“vertraut auf die Kraft der Farben: „Am Donaukanal“, 1907 (rechts)
Radikal, direkt, provokant und 1908 gegen alle Malkonvent­ionen: Richard Gerstls „Selbstbild­nis, lachend“ Richard Gerstl, ein junger „Wilder“vertraut auf die Kraft der Farben: „Am Donaukanal“, 1907 (rechts)
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