Die Politik – eine Baustelle
Wahlsonntag. Sobotka bleibt Nationalratspräsident / Kurz wird zuerst mit Rendi-Wagner „sondieren“
Diesen Wahltag haben sich Politiker – und auch ein bisschen wir Bürgerinnen und Bürger – hart erarbeitet. Man hatte das Gefühl, seit 2016 in einer Wahl-Endlosschleife gefangen zu sein.
Welche Schlüsse lassen sich aus den vergangenen Monaten ziehen? Natürlich, dass die Österreicher noch immer „monarchistisch“angehaucht sind und ein vom Kaiser, pardon, vom Bundespräsidenten eingesetztes Beamtenkabinett höher schätzen als Berufspolitiker. Eine ernsthafte Option ist das aber nicht. Eine Minderheitsregierung auch nicht. Denn das so wunderbar klingende freie Spiel der Kräfte im Parlament bedeutet, dass Leute, die keine Finanzverantwortung im Staat tragen, großzügig Geld verteilen, um sich Zustimmung zu „erkaufen“.
Das Ibiza-Video hat nicht nur die letzte (gewählte) Regierung gesprengt und charakterliche Defizite der handelnden Personen offenbart, sondern in der Folge auch strukturelle der FPÖ. Keine gute Voraussetzung, um noch einmal Regierungsverantwortung zu übernehmen. Allerdings sollten sich nach diesem Wahlkampf ruhig auch andere an der Nase nehmen. Die Qualität der politischen Auseinandersetzung ist ins Bodenlose gestürzt. Gehässigkeiten und Verdächtigungen kursierten. Einige kriminelle Aktionen in diesem Wahlkampf waren sogar dazu angetan, unsere Demokratie zu gefährden. Und sie sind eine Bürde für kommende Koalitionen. Es wird schwer sein, das zerstörte Vertrauen wieder zu kitten.
Aber es gibt so viele Herausforderungen, für die ein bloß zähneknirschender kleinster Kompromiss nicht reichen wird. In Europa droht eine Rezession. Man muss ökologische Anreize setzen, ohne die Wirtschaft abzuwürgen, und keiner darf sich auf Lorbeeren ausruhen: Unser Gesundheits-, Bildungs- und das Pensionssystem sind keineswegs zukunftsfit. Auch in Sachen Integration ist einiges schief gelaufen. Sogar die Justiz ist in einem beklagenswerten Zustand.
Eine neue Regierung braucht Mut zu Unpopulärem, eine Opposition muss nicht aus Prinzip alles verteufeln. Jetzt wäre endlich wieder echte Politik gefragt.
Am heutigen Sonntag sind 6.394.201 Personen aufgerufen, einen neuen Nationalrat zu wählen. Es ist die 23. Nationalratswahl seit 1945, in den 74 Jahren seit Kriegsende haben die Österreicher durchschnittlich alle 3,2 Jahre ihr Parlament neu gewählt. Die aktuell auslaufende Gesetzgebungsperiode dauerte allerdings nur 23 Monate, weil die türkis-blaue Regierung bereits nach 17 Monaten zerbrach. Seit Juni regiert ein Beamtenkabinett.
Dieses wird Bundespräsident Alexander Van der Bellen am kommenden Dienstag seine Demissionierung anbieten. Van der Bellen wird sie annehmen und die Regierung Bierlein gleichzeitig mit der Fortführung der Geschäfte betrauen, bis es auf Basis des Wahlergebnisses eine neue Bundesregierung gibt.
Aber das wird dauern.
FPÖ akzeptiert Sobotka
Zuerst muss sich der Nationalrat binnen 30 Tagen nach der Wahl neu konstituieren. Das wird am 23. Oktober geschehen. Als stärkste Partei wird die ÖVP erneut Wolfgang Sobotka für die Position des Ersten Nationalratspräsidenten nominieren. Die Wiederwahl scheint ihm – trotz manch hitziger Gefechte im Plenarsaal – sicher. „Wir haben immer die Kandidaten anderer Parteien akzeptiert, da wird sich nichts daran ändern“, antwortet FPÖKlubobmann Herbert Kickl auf die KURIER-Frage, ob die FPÖ Sobotka erneut zum Nationalratspräsidenten wählt.
„Wild“ab der 1. Minute
Zum Parlamentsstart kündigt sich ein Kuriosum an: „Wilde“, also Abgeordnete ohne Klubzugehörigkeit, sammeln sich in der Regel erst im Laufe einer Periode an. Diesmal könnte eine Mandatarin bereits ihren Antrittseid als „Wilde“leisten: Philippa Strache. Wenn Heinz-Christian Strache demnächst aus der Partei ausgeschlossen wird, dürfte ihm die Ehefrau freiwillig ins Exil folgen, glaubt man in der FPÖ. Philippa Strache wäre nicht die Erste, der das Kunststück gelingt, das Parlament fraktionslos zu betreten. Nach der Nationalratswahl 2013 zog auch schon Monika Lindner als „wilde Mandatarin“ins Hohe Haus. Sie hatte sich nach nur 48 Stunden als Kandidatin auf der Liste Stronach mit dieser überworfen.
Parallel zur Konstituierung des Nationalrats, aber auf getrennter Schiene, läuft die Regierungsbildung. Van der Bellen wird kommende Woche mit allen Parteichefs Gespräche führen, um sich ein Bild zu machen.
Die Sondierungen, also ein vertieftes Ausloten von Koalitionsmöglichkeiten, wird ÖVP-Chef Sebastian Kurz übernehmen. Dieser Prozess wird allerdings erst übernächste Woche starten.
Kommende Woche müssen die Parteien zuerst einmal intern die Folgen aus ihrem jeweiligen Wahlergebnis klären: Tritt ein Spitzenkandidat zurück? Sieht sich eine Partei in die Opposition berufen? Ist eine Partei überhaupt handlungsfähig und somit regierungsverhandlungsfähig?
Die Spitzengremien von SPÖ und Neos tagen am Montag. Bei den Grünen kommt der Bundesvorstand erst Mitte der Woche zusammen. Die Vorstände von ÖVP und FPÖ treffen sich am Dienstag. Die Woche darauf lädt dann – sofern das Wahlergebnis den Umfragen entspricht – der Chef der stärksten Partei, Sebastian Kurz, zu Sondierungsgesprächen. Beginnen wird Kurz mit der SPÖ als zweitstärkster Partei.
Keine Obfrau-Debatte
Laut den jüngsten Entwicklungen ist davon auszugehen, dass Pamela Rendi-Wagner dem ÖVP-Chef als rote Gesprächsführerin gegenüber sitzen wird. Die SPÖ hat sich darauf eingeschworen, keine Obfrau-Debatte zu führen. Der blaue Spesenskandal könnte der SPÖ helfen, ihre Absicht auch umzusetzen. Die SPÖ wird wohl ihren zweiten Platz behalten und trotz Verlusten den Abstand zur FPÖ merklich vergrößern. 2017 schnitt die SPÖ um nur 0,9 Prozentpunkte besser als die FPÖ ab.
Auch könnte Rendi-Wagners harsches Auftreten gegenüber Kurz den Abfluss von SPÖ-Wählern zu den Grünen etwas gebremst haben. Das ohnehin angespannte türkis-rote Gesprächsklima hat sie damit aber sicher nicht verbessert.
FPÖ mit sich beschäftigt
Die FPÖ dürfte noch lange mit dem Aufarbeiten ihrer Skandale und dem internen Schmutzwäschewaschen beschäftigt sein. Und wenn gegen Herbert Kickl kein Spesenzettel auftaucht, wird er wohl die dominante Persönlichkeit der FPÖ bleiben – und einer Neuauflage von Türkis-Blau im Wege stehen.
Eine Dreierkoalition aus ÖVP, Grün und Neos wäre nicht nur politisch ein Novum, sondern auch verfassungsrechtlich delikat. Die rot-blaue Opposition hätte nämlich eine Mehrheit im Bundesrat und könnte jedes türkis-grün-pinke Gesetz beeinspruchen. Türkis-GrünNeos müsste dann im Nationalrat auf dem Gesetz „beharren“und für jedes Gesetz zwei Monate mehr einplanen. Eine weitere Finesse: Unsere „schöne Verfassung“(VdB) sieht keine zwei Vizekanzler vor, sondern nur einen.