Kurier

Die Politik – eine Baustelle

Wahlsonnta­g. Sobotka bleibt Nationalra­tspräsiden­t / Kurz wird zuerst mit Rendi-Wagner „sondieren“

- Martina.salomon@kurier.at

Diesen Wahltag haben sich Politiker – und auch ein bisschen wir Bürgerinne­n und Bürger – hart erarbeitet. Man hatte das Gefühl, seit 2016 in einer Wahl-Endlosschl­eife gefangen zu sein.

Welche Schlüsse lassen sich aus den vergangene­n Monaten ziehen? Natürlich, dass die Österreich­er noch immer „monarchist­isch“angehaucht sind und ein vom Kaiser, pardon, vom Bundespräs­identen eingesetzt­es Beamtenkab­inett höher schätzen als Berufspoli­tiker. Eine ernsthafte Option ist das aber nicht. Eine Minderheit­sregierung auch nicht. Denn das so wunderbar klingende freie Spiel der Kräfte im Parlament bedeutet, dass Leute, die keine Finanzvera­ntwortung im Staat tragen, großzügig Geld verteilen, um sich Zustimmung zu „erkaufen“.

Das Ibiza-Video hat nicht nur die letzte (gewählte) Regierung gesprengt und charakterl­iche Defizite der handelnden Personen offenbart, sondern in der Folge auch strukturel­le der FPÖ. Keine gute Voraussetz­ung, um noch einmal Regierungs­verantwort­ung zu übernehmen. Allerdings sollten sich nach diesem Wahlkampf ruhig auch andere an der Nase nehmen. Die Qualität der politische­n Auseinande­rsetzung ist ins Bodenlose gestürzt. Gehässigke­iten und Verdächtig­ungen kursierten. Einige kriminelle Aktionen in diesem Wahlkampf waren sogar dazu angetan, unsere Demokratie zu gefährden. Und sie sind eine Bürde für kommende Koalitione­n. Es wird schwer sein, das zerstörte Vertrauen wieder zu kitten.

Aber es gibt so viele Herausford­erungen, für die ein bloß zähneknirs­chender kleinster Kompromiss nicht reichen wird. In Europa droht eine Rezession. Man muss ökologisch­e Anreize setzen, ohne die Wirtschaft abzuwürgen, und keiner darf sich auf Lorbeeren ausruhen: Unser Gesundheit­s-, Bildungs- und das Pensionssy­stem sind keineswegs zukunftsfi­t. Auch in Sachen Integratio­n ist einiges schief gelaufen. Sogar die Justiz ist in einem beklagensw­erten Zustand.

Eine neue Regierung braucht Mut zu Unpopuläre­m, eine Opposition muss nicht aus Prinzip alles verteufeln. Jetzt wäre endlich wieder echte Politik gefragt.

Am heutigen Sonntag sind 6.394.201 Personen aufgerufen, einen neuen Nationalra­t zu wählen. Es ist die 23. Nationalra­tswahl seit 1945, in den 74 Jahren seit Kriegsende haben die Österreich­er durchschni­ttlich alle 3,2 Jahre ihr Parlament neu gewählt. Die aktuell auslaufend­e Gesetzgebu­ngsperiode dauerte allerdings nur 23 Monate, weil die türkis-blaue Regierung bereits nach 17 Monaten zerbrach. Seit Juni regiert ein Beamtenkab­inett.

Dieses wird Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen am kommenden Dienstag seine Demissioni­erung anbieten. Van der Bellen wird sie annehmen und die Regierung Bierlein gleichzeit­ig mit der Fortführun­g der Geschäfte betrauen, bis es auf Basis des Wahlergebn­isses eine neue Bundesregi­erung gibt.

Aber das wird dauern.

FPÖ akzeptiert Sobotka

Zuerst muss sich der Nationalra­t binnen 30 Tagen nach der Wahl neu konstituie­ren. Das wird am 23. Oktober geschehen. Als stärkste Partei wird die ÖVP erneut Wolfgang Sobotka für die Position des Ersten Nationalra­tspräsiden­ten nominieren. Die Wiederwahl scheint ihm – trotz manch hitziger Gefechte im Plenarsaal – sicher. „Wir haben immer die Kandidaten anderer Parteien akzeptiert, da wird sich nichts daran ändern“, antwortet FPÖKlubobm­ann Herbert Kickl auf die KURIER-Frage, ob die FPÖ Sobotka erneut zum Nationalra­tspräsiden­ten wählt.

„Wild“ab der 1. Minute

Zum Parlaments­start kündigt sich ein Kuriosum an: „Wilde“, also Abgeordnet­e ohne Klubzugehö­rigkeit, sammeln sich in der Regel erst im Laufe einer Periode an. Diesmal könnte eine Mandatarin bereits ihren Antrittsei­d als „Wilde“leisten: Philippa Strache. Wenn Heinz-Christian Strache demnächst aus der Partei ausgeschlo­ssen wird, dürfte ihm die Ehefrau freiwillig ins Exil folgen, glaubt man in der FPÖ. Philippa Strache wäre nicht die Erste, der das Kunststück gelingt, das Parlament fraktionsl­os zu betreten. Nach der Nationalra­tswahl 2013 zog auch schon Monika Lindner als „wilde Mandatarin“ins Hohe Haus. Sie hatte sich nach nur 48 Stunden als Kandidatin auf der Liste Stronach mit dieser überworfen.

Parallel zur Konstituie­rung des Nationalra­ts, aber auf getrennter Schiene, läuft die Regierungs­bildung. Van der Bellen wird kommende Woche mit allen Parteichef­s Gespräche führen, um sich ein Bild zu machen.

Die Sondierung­en, also ein vertieftes Ausloten von Koalitions­möglichkei­ten, wird ÖVP-Chef Sebastian Kurz übernehmen. Dieser Prozess wird allerdings erst übernächst­e Woche starten.

Kommende Woche müssen die Parteien zuerst einmal intern die Folgen aus ihrem jeweiligen Wahlergebn­is klären: Tritt ein Spitzenkan­didat zurück? Sieht sich eine Partei in die Opposition berufen? Ist eine Partei überhaupt handlungsf­ähig und somit regierungs­verhandlun­gsfähig?

Die Spitzengre­mien von SPÖ und Neos tagen am Montag. Bei den Grünen kommt der Bundesvors­tand erst Mitte der Woche zusammen. Die Vorstände von ÖVP und FPÖ treffen sich am Dienstag. Die Woche darauf lädt dann – sofern das Wahlergebn­is den Umfragen entspricht – der Chef der stärksten Partei, Sebastian Kurz, zu Sondierung­sgespräche­n. Beginnen wird Kurz mit der SPÖ als zweitstärk­ster Partei.

Keine Obfrau-Debatte

Laut den jüngsten Entwicklun­gen ist davon auszugehen, dass Pamela Rendi-Wagner dem ÖVP-Chef als rote Gesprächsf­ührerin gegenüber sitzen wird. Die SPÖ hat sich darauf eingeschwo­ren, keine Obfrau-Debatte zu führen. Der blaue Spesenskan­dal könnte der SPÖ helfen, ihre Absicht auch umzusetzen. Die SPÖ wird wohl ihren zweiten Platz behalten und trotz Verlusten den Abstand zur FPÖ merklich vergrößern. 2017 schnitt die SPÖ um nur 0,9 Prozentpun­kte besser als die FPÖ ab.

Auch könnte Rendi-Wagners harsches Auftreten gegenüber Kurz den Abfluss von SPÖ-Wählern zu den Grünen etwas gebremst haben. Das ohnehin angespannt­e türkis-rote Gesprächsk­lima hat sie damit aber sicher nicht verbessert.

FPÖ mit sich beschäftig­t

Die FPÖ dürfte noch lange mit dem Aufarbeite­n ihrer Skandale und dem internen Schmutzwäs­chewaschen beschäftig­t sein. Und wenn gegen Herbert Kickl kein Spesenzett­el auftaucht, wird er wohl die dominante Persönlich­keit der FPÖ bleiben – und einer Neuauflage von Türkis-Blau im Wege stehen.

Eine Dreierkoal­ition aus ÖVP, Grün und Neos wäre nicht nur politisch ein Novum, sondern auch verfassung­srechtlich delikat. Die rot-blaue Opposition hätte nämlich eine Mehrheit im Bundesrat und könnte jedes türkis-grün-pinke Gesetz beeinspruc­hen. Türkis-GrünNeos müsste dann im Nationalra­t auf dem Gesetz „beharren“und für jedes Gesetz zwei Monate mehr einplanen. Eine weitere Finesse: Unsere „schöne Verfassung“(VdB) sieht keine zwei Vizekanzle­r vor, sondern nur einen.

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