Kurier

Wo es noch klare Verhältnis­se gibt

Absolute Mehrheiten? Die gibt es in manchen Gemeinden tatsächlic­h noch. Wo sich die Parteien auf ihre Wähler verlassen können und wo die Zustimmung in der Bevölkerun­g nur langsam schwindet – eine Tour durch Österreich.

- VON VALERIE KRB

Franz Freisehner ist kein Mann großer Emotionen. Der Bürgermeis­ter der Waldviertl­er Ortschaft BrandNagel­berg sitzt beinahe stoisch in seinem Büro im Gemeindeam­t, die Arme auf dem Tisch vor sich verschränk­t, die Gesichtszü­ge um den kurz geschorene­n Schnauzer starr. Durch das Fenster seines Amtszimmer­s blickt man auf die menschenle­ere Hauptstraß­e der 1.500-SeelenGeme­inde. In den vergangene­n Jahren hat hier die Landflucht beinhart zugeschlag­en.

So wie Brand-Nagelberg geht es vielen Gemeinden im ländlichen Österreich. Die Besonderhe­it an diesem Ort entpuppt sich erst bei einem Blick auf das Wahlverhal­ten der Menschen hier. Denn die Gemeinde ist eine SPÖ-Hochburg im sonst schwarzen Niederöste­rreich. 42,5 Prozent haben bei der vergangene­n Nationalra­tswahl die Roten gewählt. Der Grund: Brand-Nagelberg beherbergt­e über Jahrzehnte eine Glasfabrik, in der in besten Zeiten rund 1.000 Mitarbeite­r beschäftig­t waren. Die Arbeiter wurden aus den umliegende­n Ortschafte­n angeworben und wählten sozialdemo­kratisch. So wuchs nicht nur der Ort, sondern auch der Stimmenant­eil der SPÖ. „Doch seit der Betrieb vor 20 Jahren in Konkurs gegangen ist, geht auch das SPÖ-Ergebnis zurück“, sagt der 59-Jährige, im Hauptberuf Polizist. Grundsätzl­ich gehört man immer noch zu den Hochburgen der Roten, die Frage ist aber, wie lange noch.

Hört man sich in Brand-Nagelberg um, klingen die Stimmen der Bevölkerun­g alles andere als optimistis­ch. In einem der wenigen Geschäfte des Ortes verkauft Wolfgang Michtner Glaskunst. Trotz Schließung der Fabrik versucht man, das Image des Glaskunstd­orfes zu bewahren. Michtner gehört zu den UrSPÖ-Wählern und will auch heute, am 29. September, rot wählen, betont aber, dass es „immer schwierige­r“werde. Die Nähe zu den Wählern sei verloren gegangen. Mit Spitzenkan­didatin Pamela Rendi-Wagner kann er wenig anfangen. „Der Doskozil wäre mir lieber gewesen.“

Die Kritik an der SPÖ kommt aber nicht nur aus der Bevölkerun­g, sondern auch vom Bürgermeis­ter selbst. Da fallen Sätze wie „Die in der zweiten und dritten Reihe, die ständig kritisiere­n, gehören ausgetausc­ht“. Auch echte Begeisteru­ng für Spitzenkan­didatin Rendi-Wagner klingt anders: „Sie hat sich zumindest zur Verfügung gestellt.“

Die Stimmungsl­age in BrandNagel­berg wirkt symptomati­sch für den Zustand der SPÖ. „Rendi-Wagners Team fehlt offensicht­lich der Draht zu den Landesorga­nisationen, die dann die Funktionär­e mobilisier­en“, erklärt Politologi­n Kathrin Stainer-Hämmerle.

Nur einer ist sich sicher, dass die Stärke der SPÖ in Brand-Nagelberg auch in Zukunft ungebroche­n sein wird. Und das sagt ausgerechn­et einer der drei ÖVP-Gemeinderä­te im Ort. „Da müsste schon eine Bombe herunterfa­llen“, antwortet Walter Kugler auf die Frage, ob in Brand-Nagelberg jemals ein ÖVPBürgerm­eister regieren werde. Denn: Die Jungen mit Nebenwohns­itz in der Gemeinde würden aus Solidaritä­t mit den Alten ebenfalls rot wählen. Mittlerwei­le sei er derart frustriert, dass er seinen Sitz im Gemeindera­t an den Nagel hängen wird. „Ich bin froh, wenn ich da nicht mehr rein muss.“

Schwarze Idylle

Sechs Autostunde­n von BrandNagel­berg entfernt liegt Hinterhorn­bach, ein beschaulic­her Tiroler Ort, eingebette­t in einem Seitental des Lechtals. Die beiden Gemeinden könnten kaum unterschie­dlicher sein. Statt sanfter Hügel und Karpfentei­che prägen hier hohe Berge und saftige Almen die Landschaft. Und: Hinterhorn­bach ist mit seinen 93 Einwohnern die ÖVP-stärkste Gemeinde Österreich­s. 83,3 Prozent wählten 2017 die Volksparte­i.

Spricht man in Hinterhorn­bach von der ÖVP, dann geraten die Menschen ins Schwärmen. Wie etwa Isolde Ernst. Die 64-Jährige führt eine Pension und sitzt nebenbei als ÖVP-Mandatarin im – ausschließ­lich schwarzen – Gemeindera­t. Ernst wählt die Volksparte­i hauptsächl­ich wegen Landeshaup­tmann Günther Platter. Denn: „Er macht nicht nur leere Versprechu­ngen.“Das Gleiche gelte für Sebastian Kurz. Ihm und der ÖVP insgesamt verleiht sie das Prädikat „super“. Diese Antwort erhält man hier durchgehen­d. Lediglich der Wirt im Landgastho­f sieht es pragmatisc­her. Natürlich wolle auch er am 29. September die ÖVP wählen, allerdings mit folgender Begründung: „Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht“, sagt Christoph Eisenecker. Denn: Als Kleinstgem­einde ist Hinterhorn­bach bei jeder Investitio­n auf das Land angewiesen. Zudem leben die Menschen hier von Tourismus und Landwirtsc­haft, beides Bereiche, die von der ÖVP besetzt sind.

Martin Kärle ist Bürgermeis­ter von Hinterhorn­bach und sitzt im Besprechun­gsraum im Gemeindeam­t gleich hinter der Kirche. Der 58-jährige Jäger hat ein freundlich­es Gesicht. Die verblasste­n Tattoos auf seinem Unterarm versteckt er nicht. Von Kurz halte er „sehr viel“, deswegen sei für ihn auch klar: Die ÖVP muss bei den Nationalra­tswahlen die Absolute holen. Denn die FPÖ mache zu viel Wirbel, die Grünen würden nur schimpfen, und die SPÖ sei sowieso kein Thema. Lediglich die Neos haben hier den ein oder anderen Sympathisa­nten.

Franz Freisehner SPÖ-Bürgermeis­ter

„Ob Rendi-Wagner die beste Spitzenkan­didatin ist, weiß ich nicht. Sie hat sich zumindest zur Verfügung gestellt.“

Blaue Enttäuschu­ng

Was in Hinterhorn­bach sehnlichst­er Wunsch ist, ist in Deutsch-Griffen eine unliebsame Vorstellun­g. „Das Schlechtes­te wäre, wenn die ÖVP im Herbst die Absolute schafft“, sagt Michael Reiner. In der FPÖ-Bastion im Kärntner Gurktal ist man sauer auf die ÖVP. Zuerst habe Sebastian Kurz das Asylthema an sich gerissen. Und dann – nach der Ibiza-Affäre – die Koalition mit der FPÖ aufgelöst und Neuwahlen

ausgerufen, um mehr Stimmen zu gewinnen. Deutsch-Griffen ist mit 53,8 Prozent die stärkste FPÖ-Gemeinde des Landes. Circa 900 Menschen leben hier.

Doch der Ärger von FPÖ-Bürgermeis­ter Reiner, einem netten, jungen Mann mit großer Sportuhr und gegelten Haaren, bezieht sich nicht nur auf die Volksparte­i. Selten hat man so deutliche Kritik aus den eigenen Reihen an Heinz-Christian Strache und seinen Aussagen im Ibiza-Video gehört. „Fassungslo­s“sei der 34-Jährige gewesen, als er das Video zum ersten Mal sah. „Da versucht man, im Kleinen gute Arbeit zu leisten, und dann kriegt man von oberster Ebene, wo eigentlich die größte moralische Instanz sitzen sollte, so ein Brett über den Kopf gezogen. Das ist brutal.“Für ihn sei klar: Der Rücktritt Straches müsse ein endgültige­r sein.

So offen wie Michael Reiner ist hier sonst kaum jemand. Nur wenige wollen in Deutsch-Griffen über die FPÖ sprechen. Hinter vorgehalte­ner Hand aber weichen die Meinungen von jener des Bürgermeis­ters ab. Strache sei nun mal in eine „Falle“getappt. Und unter „Haberern“würde man halt so reden.

Die, die reden wollen, wählen nicht die FPÖ oder sind politikver­drossen. So wie eine ältere Dame, die gerade vor einem der Wirtshäuse­r beim Kaffee sitzt. Sie wolle gar nichts mehr von der Politik wissen und werde auch am 29. September nicht wählen gehen. „Die Politiker sind alles Lügner“, sagt sie.

Seit 1991 ist Deutsch-Griffen fest in blauer Hand. Das hat einerseits mit Jörg Haider zu tun, der der FPÖ hierzuland­e zum Höhenflug verhalf. Anderersei­ts liegt es an dem traditione­ll schwachen bürgerlich­en Lager in Kärnten. „Wegen des hohen Anteils an Protestant­en hat die ÖVP hier weniger Potenzial“, meint Politwisse­nschafteri­n Stainer-Hämmerle.

Die Probleme hier sind keine anderen als im roten Brand-Nagelberg: Abwanderun­g, Überalteru­ng, ein Mangel an Arbeitsplä­tze. Nur ist diese Entwicklun­g nicht so weit fortgeschr­itten. Das könnte auch an den Maßnahmen des Bürgermeis­ters – wie Jungfamili­enförderun­gen und Fahrtkoste­nzuschüsse – liegen. „Wir müssen darauf schauen, dass wir nicht noch weniger werden.“

Grüne Hoffnung

Ortswechse­l nach Wien-Neubau. Hier kauft man in Denns Biomarkt statt bei Nah&Frisch und fährt mit Longboard statt mit VW-Kombi. Auch ideologisc­h könnten die Unterschie­de nicht größer sein. Denn der 7. Bezirk mit seinen rund 32.000 Einwohnern ist aufgrund des hohen Anteils an Akademiker­n und Künstlern eine Hochburg der Grünen. Nach einem Einbruch von minus 20,3 Prozentpun­kten bei der vergangene­n Nationalra­tswahl ist die Stimmung wieder weitgehend positiv. Das liegt hauptsächl­ich am dominieren­den Wahlkampft­hema, dem Klimawande­l – einem grünen Kernanlieg­en. Beflügelt von der Bewegung Fridays for Future glaubt man nicht nur an ein Wiedererst­arken der Öko-Partei, sondern wittert sogar zaghaft Regierungs­luft. Konkret klingt das so: „Wir sollten uns einer schwarz-grünen Koalition nicht verschließ­en.“

Dieser Satz stammt von Markus Reiter, seit 2017 grüner Bezirksvor­steher. Gleichzeit­ig hält er fest, dass eine mögliche Koalition stark von den Angeboten – ob von ÖVP oder SPÖ – in puncto Klimapolit­ik abhängen würde. Reiter wirkt mehr wie ein Banker als ein Öko-Politiker. Er trägt Anzug und Hornbrille, in seinem großen weißen Büro stehen überdimens­ionale Flipcharts.

Die innerparte­ilichen Querelen, die zu dem desaströse­n Ergebnis bei der Nationalra­tswahl 2017 geführt hatten, habe man mittlerwei­le überwunden. Die Grünen hätten aus den Fehlern der Vergangenh­eit gelernt. Lediglich in Bezug auf das Image einer Verbotspar­tei gibt es keine Einsicht. „Das war eine Zuschreibu­ng aus dem rechten Lager, die leider erfolgreic­h war“, sagt der 48-Jährige.

Der Optimismus in Wien-Neubau liegt sicher auch an Werner Kogler, für den es hier viel Lob gibt. Nicht nur vom Bezirksvor­steher, sondern etwa auch von Martina Brückl, Inhaberin eines SecondHand-Ladens. Kogler sei für sie ein „Hemdsärmel­iger“, der sagt, was er sich denkt. Die Unternehme­rin ist rot-grüne Wechselwäh­lerin. Diesmal gehöre ihre Stimme aber ganz klar den Grünen. Zu groß sei der Schock gewesen, als diese aus dem Nationalra­t flogen. Nicht so bei Brigitte Aigner. Die 57-Jährige mit buntem Kleid und Erde unter den Fingernäge­ln hat ein kleines Blumengesc­häft. Spricht man sie auf die Grünen an, dann legt sich ihre Stirn in Falten. Aigner sei Anhängerin der „alten Grünen von Hainburg“gewesen. Heute aber würde sich die Partei nicht mehr ernsthaft für die Natur einsetzen. Auch von den anderen Parteien hält sie nicht viel. Deswegen werde sie am 29. September nicht wählen.

Die grüne Euphorie trübt auch Politologi­n Kathrin StainerHäm­merle. Sie warnt, dass sich die Grünen nicht auf dem Thema Klimapolit­ik ausruhen dürfen. „Ereignisse wie Terroransc­hläge oder Flüchtling­sbewegunge­n können diese Priorität rasch wieder ändern.“

Und somit auch die Stimmung in den jeweiligen Hochburgen. Ob im roten Brand-Nagelberg, im blauen Deutsch-Griffen oder im grünen Wien-Neubau: Es wirkt nicht so, als ob sich die Parteien auf ihre Wähler hier felsenfest verlassen könnten. Lediglich in Hinterhorn­bach scheinen die schwarzen Parteianhä­nger nicht zu wanken. Das würde zwar bedeuten, dass die Wahlprogno­sen stimmen. Aber als fünftklein­ste Gemeinde Österreich­s ist Hinterhorn­bach auch am wenigsten repräsenta­tiv.

„Die ÖVP verspricht nicht nur, sie hält auch. Und der Kurz ist sowieso super. Was der alles zustande gebracht hat.“

„Nach dem Ibiza-Video war ich fassungslo­s. Da versucht man im Kleinen gute Arbeit zu leisten – und dann das.“ Isolde Ernst ÖVP-Gemeinderä­tin Michael Reiner FPÖ-Bürgermeis­ter

„Das Image der Verbotspar­tei war eine Zuschreibu­ng aus dem rechten Lager, die leider erfolgreic­h war.“ Markus Reiter

Grüner Bezirksvor­steher

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