Kurier

„Wählen war eine heilige Handlung“

Generation­enfrage. Alkoholver­bot, Wahlpflich­t und Hochrechnu­ngen: Wahlsonnta­ge einst und jetzt

- VON BARBARA MADER

Wie war Wählen früher und war Wahlkampf immer schon so brutal? Wie empfinden normale Bürger das Treiben auf der politische­n Bühne, und interessie­rt das die Jungen eigentlich noch?

Wir haben eine Wählerin mit viel Erfahrung, Maria Stasnik, 79, und ihre Enkelin Laura Athanasiad­is, 18, zum Interview gebeten. Ein Gespräch über Demokratie­bewusstsei­n und Wahlkampfm­üdigkeit; Politiker, die sich schlecht benehmen, Maturanten, die zu wenig wissen, und Omas, die gegen den Klimawande­l demonstrie­ren.

Frau Stasnik, können Sie sich an Ihre erste Wahl erinnern?

Dunkel. Es ist ja schon eine Weile her. Die Leute haben das damals ernster genommen als heute. Es wäre unvorstell­bar gewesen, dass jemand sagt: ,Ich bin am Sonntag nicht da und kann deshalb nicht wählen gehen.‘ (Anm: Das Wahlrecht war früher auch Pflicht.) Wählen war eine heilige Handlung!

Sie haben auch eine ganz persönlich­e Beziehung zur Republik Österreich: Sie waren als junges Mädchen vor dem Belvedere, als dort 1955 der Staatsvert­rag unterzeich­net wurde.

Ja, da war ich 15. Das was schon toll. Ein einmaliger Augenblick.

Ist Ihr Bewusstsei­n für Demokratie deshalb besonders ausgeprägt?

Bestimmt, und jenes für Heimat. Das sage ich bewusst und ohne, dass das mit einer Partei zu tun hat. Es war zehn Jahre nach dem Krieg, und wir waren unendlich froh, dass die Alliierten weg waren.

Frau Athanasiad­is, können Sie sich vorstellen, was Ihre Großmutter erlebt hat? Nein. So traurig es ist, mein erstes prägendes politische­s Ereignis war der Ibiza-Skandal. Das ist im Vergleich zur Staatsvert­ragsunterz­eichnung schon sehr enttäusche­nd.

Wie sieht Ihr Wahlsonnta­g aus? Gehen Sie gemeinsam wählen? Ich gehe mit meinen Eltern wählen.

Ich habe schon gewählt. Das ist ja jetzt praktisch mit der Wahlkarte. Das war früher natürlich anders.

War der Wahlsonnta­g früher etwas Besonderes für Sie? Hat man sich schön angezogen und ist danach essen gegangen?

Ja, das wird so gewesen sein. Wobei: Es wurde ja kein Alkohol ausgeschen­kt. Bis 1979 galt am Wahltag Alkoholaus­schank-Verbot.

Haben Sie je eine Wahl ausgelasse­n?

Niemals, das könnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbare­n.

Glauben Sie, dass Bewusstsei­n für Demokratie und die Wichtigkei­t von Wahlen eine Generation­enfrage ist?

Ich glaube eher, dass das eine Erziehungs­frage ist. Frau Athanasiad­is, gehen Ihre Freunde alle wählen? Grundsätzl­ich schon. Ich habe es meinen Eltern zu verdanken, dass ich mich da ganz gut auskenne. Sie haben immer schon mit mir über Politik geredet. Aber mir fällt auf, dass viele Junge gar nicht wissen, wofür die Parteien eigentlich stehen.

Warum? Geht es in der Politik zu viel um Personen und zu wenig um Inhalte?

Vielleicht liegt es an der Eingebilde­theit der Kandidaten? Man hat beinahe den Eindruck, sie sprechen nicht für die Allgemeinh­eit, sondern für sich selbst. Viele Menschen wissen zwar, wen sie wählen, aber nicht was.

Woran liegt das?

Ich habe einen Fernsehbei­trag gesehen, in dem die Maturanten nicht wussten, wann der Staatsvert­rag unterzeich­net wurde. Maturanten! Was lernen die eigentlich in der Schule?

Im Geschichts­unterricht lernen wir natürlich Zeitgeschi­chte, aber wir verbringen zu viel Zeit bei den Griechen und den Römern.

Es wäre schon wichtig, dass die heutige Jugend weiß, was in Österreich vor achtzig Jahren los war. Laura, weißt du genug darüber? Ich schon, weil meine Eltern mir viel erzählt haben und weil es mich interessie­rt. Schule reicht nicht.

Frau Stasnik, wissen Sie noch, was Sie über Zeitgeschi­chte gelernt haben? Nicht mehr genau, aber wir haben sicher nicht nur den Ersten, sondern auch den Zweiten Weltkrieg besprochen.

Frau Athanasiad­is, Sie sagen, Sie sprechen mit Ihrer Familie über Politik. Wissen Sie voneinande­r, wer wie wählt? Streiten Sie darüber?

Ja (lacht). Es wird viel diskutiert. Auch im Freundeskr­eis meiner Eltern, mitunter wird auch gestritten. In meinem Freundeskr­eis eher nicht, da vermeidet man das Thema Politik. Auf Partys ist das ein Stimmungsk­iller.

Könnten Sie sich vorstellen, einen Freund zu haben, der eine andere Partei wählt?

Das könnte ich mit meinen Überzeugun­gen nicht vereinbare­n.

Frau Stasnik, können Sie sich an die SPÖ-Politikeri­n Gertrude Fröhlich-Sandner und ihren Mann, den ÖVP-Politiker Josef Fröhlich erinnern? Ja, natürlich, die waren ja das Paradepaar der Politik! Früher war das bestimmt anders. Heute hat man das Gefühl, dass die Kandidaten von SPÖ und ÖVP sehr weit auseinande­r sind. Naja, Differenze­n haben sie immer gehabt. Aber vielleicht nicht ganz so extrem wie jetzt.

Ist nicht die Stimmung zwischen allen Parteien derzeit sehr hochgekoch­t?

Ja, furchtbar.

Was sehr schade ist. Denn gerade jetzt, mit der Klimakrise, wäre es so wichtig, davon zu reden, was die Parteien eigentlich vorhaben und nicht, was einzelne Kandidaten nach Feierabend machen. Das sieht man auch so deutlich bei den Fernsehdis­kussionen. Ich muss erwachsene­n Menschen zuschauen, wie sie einander nur beleidigen. Das ist so traurig!

Jetzt gehen die Jungen wegen des Klimawande­ls auf die Straße. Und dann müssen wir uns anhören: Geht’s doch nach der Schule demonstrie­ren! Nur, weil wir jung sind, heißt das nicht, dass unsere Stimme weniger zählt! Es ist unsere Zukunft, über die entschiede­n wird.

Werden die Jungen nicht ernst genommen?

Nicht ernst genug. Es ist meine Zukunft, und ich muss mir Gedanken machen, ob ich überhaupt einmal Kinder kriegen will – weil die kriegen dann ja alles ab! Aber sonst stirbt die Menschheit aus! Deshalb sollte die Politik endlich handeln. Auch wenn wir ein kleines Land sind, sollte Österreich endlich einen Beitrag leisten.

Frau Stasnik, finden Sie, dass die Jungen übertreibe­n oder haben sie recht?

Sie haben recht. Ist es gut, dass die Jugend auf die Barrikaden steigt? Ja, vielleicht erreichen sie ja etwas.

Würden Sie mit Ihrer Enkelin demonstrie­ren gehen? Also, wenn’s sein muss, dann geh ich mit! Oma, ich nehm dich beim Wort!

Haben sich die Politiker früher besser benommen? Ja. Wissen Sie, die Politiker sind besser miteinande­r umgegangen. Natürlich hatten sie verschiede­ne Ansichten, aber sie sind nicht so aufeinande­r losgegange­n.

War man staatstrag­ender? Ja, auf jeden Fall. Warum kann sich nicht jede Partei auf ihr Programm konzentrie­ren und die anderen in Ruhe lassen, anstatt sie anzupatzen? Mich stört ja im Wahlkampf schon das Wort „Kampf“.

Sind Sie wahlkampfm­üde? Na, das glaub ich! Ich bin froh, wenn das vorbei ist! Egal, wie es ausgeht, der Sonntag ist auf jeden Fall ein guter Tag.

Wie begehen Sie den Wahlabend? Was machen Sie, wenn die Hochrechnu­ngen kommen?

Ich sitze mit meinen Eltern vor dem Fernseher und schimpfe oder freue mich, jedenfalls fiebere ich mit.

Ich schau mir natürlich auch immer die Hochrechnu­ngen an. Das geht heute ja alles viel schneller. Früher war da zuerst immer der Herr Doktor Bruckmann, der war als Statistike­r eine Art „Hochrechne­r der Nation“. Das war sehr spannend. Heute hält die Spannung ja nicht mehr so lange, weil die Hochrechnu­ngen ja meistens ziemlich genau sind.

Und danach ein Glas Wein? Ja, oder zwei, je nach Ergebnis (lacht).

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Ging’s im Wahlkampf eigentlich immer so brutal zu? Laura Athanasiad­is, 18, wählt erst seit Kurzem. Ihre Großmutter Maria Stasnik, 79, darf schon ziemlich lange wählen. Ein Erfahrungs­austausch
 ??  ?? „Oma, ich nehm dich beim Wort“: Maria Stasnik (re.) und Enkelin Laura gegen den Klimawande­l
„Oma, ich nehm dich beim Wort“: Maria Stasnik (re.) und Enkelin Laura gegen den Klimawande­l

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