Herr Doktor lernt das Posten
Hass im Netz. Ein Mediziner hetzte gegen das Neujahrsbaby. Jetzt besucht er das Programm „Dialog statt Hass“
Als Asel am 1. Jänner 2018 in Wien das Licht der Welt erblickte, wurde sie alles andere als herzlich empfangen. Vor allem in sozialen Medien wurde das Neujahrsbaby übel beschimpft.
Der Grund: Asels Mutter trug ein Kopftuch.
„Das sind Schmarotzer. Eine schnelle, freche Abzocke, die in Zusammenhang mit dem Religionsbezug ist“, schrieb auch Dr. B. (Name geändert, Anm.). Er hatte auf Facebook einen Zeitungsartikel samt Foto gesehen – und sich empört.
Mehr als eineinhalb Jahre später sitzt Dr. B. abends im Gastgarten eines Wiener Wirtshauses. Er hat sich ein Kalbsrahmgulasch bestellt, trinkt dazu ein kleines Bier. „Entschuldigen Sie, dass ich während unseres Gesprächs esse“, sagt er. „Aber ich hatte heute noch keine Gelegenheit.“
Dr. B. ist ein Mittsiebziger mit schütterem Haar. Er interessiert sich für Philosophie, ist belesen. Viele Jahrzehnte arbeitete er als Arzt in einem Krankenhaus, auch in Afrika war er als Mediziner tätig. Politik interessiert ihn nicht sonderlich.
Peinliche Schimpftirade
Wenn er an sein Posting zurückdenkt, wirkt er verärgert. „Völlig deppert“, sagt er. „Das ist mir einfach so gekommen.“Seine muslimfeindliche Schimpftirade sei ihm extrem peinlich. „Ich bin ja selbst in vielen Hilfsorganisationen tätig.“Er habe nie schlechte Erfahrungen mit Ausländern gemacht. Nie würde es ihm einfallen, eine junge Familie zu beleidigen, betont er.
Trotzdem hat er es getan. Ein paar Monate nach seinem Hassposting bekam Dr. B. Post von der Polizei. Jemand hatte ihn – und viele andere Hassposter – angezeigt. Besonders schmerzvoller Nebenaspekt: Auch die Ärztekammer erfuhr von der Anzeige. Über Dr. B. wurde sofort ein Berufsverbot verhängt.
Der Mediziner nahm sich einen Anwalt. „Völlig überzogen“, nannte der die Anklage wegen Verhetzung. Früher war Dr. B. auch dieser Ansicht. Heute denkt er anders. „Es war gut so.“
Dr. B. kam mit einer Diversion davon. Allerdings: Er muss das Programm „Dialog statt Hass“absolvieren. Entwickelt hat das der Verein Neustart speziell für Hassposter (siehe Zusatzbericht unten).
Alte, weiße Männer
Sein erster Termin im Rahmen dieses Programms: Ein Treffen mit einem Richter. „Es war für mich ein schauriges Erlebnis, in das Graue Haus gehen zu müssen. Fünf Verbrecher wie ich waren eingeladen. Und was mich schockiert hat: Es waren alles so alte, weiße Männer, wie ich einer bin.“
Der Besuch beim Richter hatte einen speziellen Sinn: Wo hört die freie Meinungsäußerung auf? Wo beginnt die Verhetzung?
„Mir war etwas Entscheidendes nicht bewusst“, sagt Dr. B. „Ich habe meinen Kommentar weltweit veröffentlicht.“Das habe ihn geschockt. „Das ist ja völlig unkontrollierbar.“
Seit vergangenem Dezember trifft sich Dr. B. einmal im Monat mit seinem NeustartBetreuer. „Im Wesentlichen besprechen wir, welcher Teufel mich damals geritten hat.“Er gehe gern zu diesen Terminen, sagt er. Er lerne viel dabei. „Etwa dass es einen Algorithmus gibt, der auf mein Online-Verhalten angepasst wird.“Er bespricht, wie er seine Meinung äußern kann, ohne jemanden zu beleidigen oder zu verhetzen. „Das ist kein Belehren, sondern ein Hinführen.“
Dr. B. ist noch immer auf Facebook. Aber er postet kaum noch. „Manchmal drücke ich noch auf ,Gefällt mir’. Dieses Facebook ist in Wirklichkeit doch nur ein großes Kasperltheater.“
Er hat sich entschlossen, Asels Familie zu schreiben. „Ich will mich entschuldigen.“Das sei auch für ihn persönlich wichtig. „Das ist eine Befreiung.“
Dr. B. darf übrigens wieder als Arzt tätig sein. Er bekam von der Ärztekammer eine Geldstrafe über 150 Euro.