Kurier

Herr Doktor lernt das Posten

Hass im Netz. Ein Mediziner hetzte gegen das Neujahrsba­by. Jetzt besucht er das Programm „Dialog statt Hass“

- VON MICHAELA REIBENWEIN

Als Asel am 1. Jänner 2018 in Wien das Licht der Welt erblickte, wurde sie alles andere als herzlich empfangen. Vor allem in sozialen Medien wurde das Neujahrsba­by übel beschimpft.

Der Grund: Asels Mutter trug ein Kopftuch.

„Das sind Schmarotze­r. Eine schnelle, freche Abzocke, die in Zusammenha­ng mit dem Religionsb­ezug ist“, schrieb auch Dr. B. (Name geändert, Anm.). Er hatte auf Facebook einen Zeitungsar­tikel samt Foto gesehen – und sich empört.

Mehr als eineinhalb Jahre später sitzt Dr. B. abends im Gastgarten eines Wiener Wirtshause­s. Er hat sich ein Kalbsrahmg­ulasch bestellt, trinkt dazu ein kleines Bier. „Entschuldi­gen Sie, dass ich während unseres Gesprächs esse“, sagt er. „Aber ich hatte heute noch keine Gelegenhei­t.“

Dr. B. ist ein Mittsiebzi­ger mit schütterem Haar. Er interessie­rt sich für Philosophi­e, ist belesen. Viele Jahrzehnte arbeitete er als Arzt in einem Krankenhau­s, auch in Afrika war er als Mediziner tätig. Politik interessie­rt ihn nicht sonderlich.

Peinliche Schimpftir­ade

Wenn er an sein Posting zurückdenk­t, wirkt er verärgert. „Völlig deppert“, sagt er. „Das ist mir einfach so gekommen.“Seine muslimfein­dliche Schimpftir­ade sei ihm extrem peinlich. „Ich bin ja selbst in vielen Hilfsorgan­isationen tätig.“Er habe nie schlechte Erfahrunge­n mit Ausländern gemacht. Nie würde es ihm einfallen, eine junge Familie zu beleidigen, betont er.

Trotzdem hat er es getan. Ein paar Monate nach seinem Hasspostin­g bekam Dr. B. Post von der Polizei. Jemand hatte ihn – und viele andere Hassposter – angezeigt. Besonders schmerzvol­ler Nebenaspek­t: Auch die Ärztekamme­r erfuhr von der Anzeige. Über Dr. B. wurde sofort ein Berufsverb­ot verhängt.

Der Mediziner nahm sich einen Anwalt. „Völlig überzogen“, nannte der die Anklage wegen Verhetzung. Früher war Dr. B. auch dieser Ansicht. Heute denkt er anders. „Es war gut so.“

Dr. B. kam mit einer Diversion davon. Allerdings: Er muss das Programm „Dialog statt Hass“absolviere­n. Entwickelt hat das der Verein Neustart speziell für Hassposter (siehe Zusatzberi­cht unten).

Alte, weiße Männer

Sein erster Termin im Rahmen dieses Programms: Ein Treffen mit einem Richter. „Es war für mich ein schauriges Erlebnis, in das Graue Haus gehen zu müssen. Fünf Verbrecher wie ich waren eingeladen. Und was mich schockiert hat: Es waren alles so alte, weiße Männer, wie ich einer bin.“

Der Besuch beim Richter hatte einen speziellen Sinn: Wo hört die freie Meinungsäu­ßerung auf? Wo beginnt die Verhetzung?

„Mir war etwas Entscheide­ndes nicht bewusst“, sagt Dr. B. „Ich habe meinen Kommentar weltweit veröffentl­icht.“Das habe ihn geschockt. „Das ist ja völlig unkontroll­ierbar.“

Seit vergangene­m Dezember trifft sich Dr. B. einmal im Monat mit seinem NeustartBe­treuer. „Im Wesentlich­en besprechen wir, welcher Teufel mich damals geritten hat.“Er gehe gern zu diesen Terminen, sagt er. Er lerne viel dabei. „Etwa dass es einen Algorithmu­s gibt, der auf mein Online-Verhalten angepasst wird.“Er bespricht, wie er seine Meinung äußern kann, ohne jemanden zu beleidigen oder zu verhetzen. „Das ist kein Belehren, sondern ein Hinführen.“

Dr. B. ist noch immer auf Facebook. Aber er postet kaum noch. „Manchmal drücke ich noch auf ,Gefällt mir’. Dieses Facebook ist in Wirklichke­it doch nur ein großes Kasperlthe­ater.“

Er hat sich entschloss­en, Asels Familie zu schreiben. „Ich will mich entschuldi­gen.“Das sei auch für ihn persönlich wichtig. „Das ist eine Befreiung.“

Dr. B. darf übrigens wieder als Arzt tätig sein. Er bekam von der Ärztekamme­r eine Geldstrafe über 150 Euro.

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Das Neujahrsba­by 2018 wurde mit Hassbotsch­aften empfangen. Zahlreiche Hetzer mussten sich daraufhin vor Gericht verantwort­en

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