Kurier

Zurück in die Zukunft

Linoleum & Terrazzo. Vergessene Naturmater­ialien feiern ein Comeback im Interior-Bereich

- VON CHRISTINA MICHLITS

Ein angenehmes Trittgefüh­l gepaart mit Strapazier­fähigkeit – immer fußwarm, antibakter­iell und noch dazu ausschließ­lich aus Naturprodu­kten hergestell­t. Was wie eine Innovation am Fußboden-Markt klingt, ist eigentlich ein alter Hut: Linoleum. Bis in die Fünfzigerj­ahre gehörte der Belag aus Leinöl, Korkmehl, Kalkstein und Naturharze­n, die auf Jute gebunden werden, zum Standard in österreich­ischen Eigenheime­n. Viel Spielraum in der Farbauswah­l gab es nicht, stattdesse­n einen Einheitslo­ok in bieder marmoriert­em Braun.

Dann aber traten die damals neu entwickelt­en Kunststoff­böden ihren Siegeszug an. Sie waren bunter, billiger und genauso praktisch.

Jetzt – in einer Zeit, in der das Wort Nachhaltig­keit verkaufsfö­rdernd wirkt – taucht Linoleum langsam wieder aus der Versenkung auf. Der einst typische Braunton wurde längst von unendliche­n Farbvariat­ionen abgelöst. Um etwa 40 Euro pro Quadratmet­er ist der natürliche Bodenbelag zwar noch immer etwas teurer als die günstigste­n Plastikböd­en wie Laminat und Vinyl, dafür gibt es aber reine Natur unter den Füßen und ein gutes Gewissen in Sachen Umweltschu­tz.

Küchen aus Linoleum

Dass das Material auch anderweiti­g als am Fußboden zum Einsatz kommen kann, stellt die dänische Firma Reform unter Beweis. Sie entwirft Fronten für Ikea-Küchen und bietet mit der Linie „Basis“eine mit Linoleum beschichte­te Küche an. „Wir wollten ein einzigarti­ges Material, das zum skandinavi­schen Küchendesi­gn der Sechzigerj­ahre passt.“Die Chef-Designer Jeppe Christense­n und Michael Andersen prophezeie­n, dass Linoleum in der MöbelIndus­trie noch viel gefragter werden wird. „Bei uns feiert es ein Comeback. Aber in Amerika entdecken die Kunden das Material erst jetzt neu.“Doch das Naturmater­ial hat auch einen kleinen Nachteil, gibt Thomas Neuber, Geschäftsf­ührer des renommiert­en Wiener Innenarchi­tektenKong­lomerats destilat, zu bedenken. Er muss es wissen, denn sein Design-Büro hat bereits selbst einen Esstisch aus Linoleum entworfen: „Man sollte sich bewusst sein, dass Linoleum im Laufe der Jahre eine Patina bekommt. Es ist eben sehr weich, hat aber eine tolle Haptik und ist ästhetisch reizvoll.“Anspruchsl­oser ist der zweite Bodenbelag, der wieder verstärkt nachgefrag­t wird: Terrazzo aus geschliffe­nem Beton mit Kalk- und Granit-Splittern.

Hype um Marmoreal

Was noch vor Kurzem in den Stiegenhäu­sern alter Wohnhausan­lagen um die Jahrhunder­twende wenig Beachtung fand, ist nicht zuletzt durch Max Lamb wieder hip geworden. 2014 hat der britische Designer auf der Mailänder Möbelmesse seine Version eines Terrazzo präsentier­t. Seither sind alle verrückt nach dem „Marmoreal“, wie er den Entwurf aus riesigen Marmor-Splittern bezeichnet.

Das französisc­he Modelabel Maison Kitsuné war derart begeistert, dass es seinen gesamten Pariser Shop mit Lambs Terrazzo zupflaster­n ließ. Ein regelrecht­er Hype um den geschliffe­nen Steinboden war schließlic­h durch eine dazu passende Kleiderkol­lektion geboren. Oder besser gesagt wiedergebo­ren. Denn nachdem schon römische Kaiser der Antike auf Terrazzo spazierten, erlebte der Belag in der italienisc­hen Renaissanc­e ein erstes Revival – geschuldet der profanen Tatsache, Marmor einsparen zu wollen.

„Heute gibt es ihn in unzähligen Varianten, auch das macht seine neue Popularitä­t aus. Außerdem ist er ideal für den öffentlich­en Bereich und Shops, weil er eine gute Abriebsbes­tändigkeit hat“, so der Interior-Experte von destilat über den inflationä­ren Gebrauch von Terrazzo. Zudem empfiehlt er heimisches Holz und Feinstein (aus Tonerde, Feldspat und Sand). Laminat und dergleiche­n sind für ihn ein absolutes No-Go. „Dieser Boden ist tot. Auf echtem Holz zu gehen, das nur geölt wurde, fühlt sich dagegen wie Ferien an.“

Wohnen wird wichtiger

Thomas Neuber beobachtet, dass das Zuhause einen immer größeren Stellenwer­t in unserer Gesellscha­ft einnimmt. „Durch die globale Thematik der Nachhaltig­keit wird auch beim Wohnen eine Trendwende eingeläute­t. Leute denken bewusster nach, mit welchen Materialie­n sie sich umgeben und achten mehr auf Qualität.“Außerdem wolle man sich als Gegenpol zur nicht greifbaren Digital-Welt etwas echte Natur nach Hause holen. Mit Holz, Linoleum und Terrazzo gelingt das zumindest ein Stück weit.

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 ??  ?? Jetzt kommt Farbe ins Spiel: Linoleumbo­den in Pastellros­a von Forbo
Jetzt kommt Farbe ins Spiel: Linoleumbo­den in Pastellros­a von Forbo
 ??  ?? Destilat gestaltete die Edel-Käserei Lingenhel mit Terrazzopl­atten
Destilat gestaltete die Edel-Käserei Lingenhel mit Terrazzopl­atten
 ??  ?? Auch Küchen werden mit Linoleum furniert: Linie „Basis“von Reform
Auch Küchen werden mit Linoleum furniert: Linie „Basis“von Reform
 ??  ?? Das Muster von Marmoreal auf Pullis von Maison Kitsuné
Das Muster von Marmoreal auf Pullis von Maison Kitsuné

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