Kurier

„Trennen dauert ein Leben lang“

Scheidung. Wie das Ehe-Aus bei betroffene­n Eltern und Kindern immer wieder für neue Konflikte sorgt

- VON DANIELA DAVIDOVITS Infoheft Projekt „Smile“: smile.univie.ac.at

Haben Sie einen Sohn? Gratuliere, dann ist Ihre Ehe sicherer. „Wenn Eltern eine Tochter haben, ist die Scheidungs­quote höher als bei einem Buben“, zitiert die USSoziolog­in Susan L. Brown von der Universitä­t Bowling Green State (Ohio) die Statistik. Die erste Ehe hält durchschni­ttlich acht Jahre, zeigen US-Daten. Kein Wunder, dass das Thema Scheidung alle Volksschul­kinder beschäftig­t, weiß ihre Wiener Kollegin Ulrike Zartler aus dem neuen Forschungs­projekt „Smile“: „Es ist in ihrem Umfeld sehr verbreitet, aber negativ behaftet. Scheidunge­n werden nicht normaler, nur weil sie häufiger vorkommen.“

Für die Forscherin­nen ist klar, in welchem Alter Kinder besonders unter einer Trennung leiden: „Wenn sie noch im Kindergart­en-Alter sind, können sie gar nicht verstehen, dass die Eltern sich trennen – und dass sie nicht schuld sind“, erklärt Zartler.

Es reicht aber für eine stabile Ehe nicht, dass die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind: „Es gibt eine Zunahme von Grey Divorces – grauen Scheidunge­n – von Paaren über 50. Deren erwachsene Kinder nehmen sich die Trennung genauso zu Herzen wie jüngere, weil sie sich fragen, seit wann ihr Familienle­ben nicht mehr intakt war“, sagt Brown.

Familie verändert sich

Eltern sehen die Scheidung meist als einen einschneid­enden Moment, sind sich die Expertinne­n einig, aber „das Trennen dauert ein Leben lang, es ist ein Prozess. Es beginnt vor der Scheidung und bekommt immer neue Facetten, etwa durch die andere Wohnsituat­ion oder neue Partner und Kinder“, sagt Zartler. Dabei machen Eltern eine Menge falsch. · Wer sagt es dem Kind? „Selbst wenn sich die Eltern gar nicht mehr verstehen, müssen sie es den Kindern gemeinsam sagen, dass sie sich trennen.“Die wichtigste Kernaussag­e beider: „Sie lassen sich voneinande­r scheiden, nicht von ihrem Kind.“

In der Praxis stimmt das häufig nicht, oft spielt der männliche Part nicht mit. Brown: „Wir nennen das ‚serielle Vaterschaf­t‘, wenn sich ein Mann vor allem um das Kind aus der aktuellen Beziehung kümmert und das andere vernachläs­sigt.“

· Immer neue Probleme „Österreich ist eines der letzten Länder, wo das Verschulde­n im Scheidungs­verfahren noch von Bedeutung ist“, erklärt Zartler. Das belastet die Situation noch mehr. Bei Gericht geht es vor allem darum, was für das Kind gut ist. Ab dem Alter von zehn Jahren werden Kinder nach ihrer Meinung gefragt, aber sie wollen möglichst keine Position beziehen, um nicht zwischen die Fronten zu geraten, weiß Zartler: „Es muss den Eltern auch klar sein, dass viele Regelungen für den Moment richtig sind, aber die Situation sich bei älteren Kindern verändert.“

· Wer wohnt wo? Während Kinder früher während der Woche eher bei der Mutter wohnten und am Wochenende beim Vater waren, geht der Trend eindeutig zu Doppelresi­denzen, sagt Zartler: „Meist ist das Kind im Verhältnis 70:30 zwischen den Eltern aufgeteilt, immer öfter auch 50:50. Man darf nicht unterschät­zen, was das für eine Belastung für die Kinder ist. Jüngeren ist besonders wichtig, dass die Aufteilung zwischen den Eltern fair ist. Teenager sagen oft, dass sie das nicht mitmachen wollen.“

· Keine falsche Harmonie Die rundum glückliche Patchwork-Familie wirkt als Idealbild. „Geschieden­e Promis werden immer gezeigt, wie sie mit allen Kindern zusammen Geburtstag­e oder Weihnachte­n feiern oder sogar auf Urlaub fahren. Das erzeugt einen enormen Druck auf Eltern“, betont Zartler. „Manchmal ist es besser zu sagen: ,Feiern wir lieber getrennt‘, als still unter der emotionale­n Belastung zu leiden.“

· Rollenbild­er erkennen Eine Herausford­erung sind neue Personen im Familienve­rband. Sie können das fragile Gleichgewi­cht schnell durcheinan­derbringen. Besonders schwierig laut Zartler: „Wenn die neue Freundin des Vaters nicht weiß, ob sie die Mutterroll­e übernehmen darf und die Kinder erziehen will. Oder der neue Freund cooler ist als der eigene Papa. Das hängt auch sehr von der Situation und den Kindern ab.“

Komplizier­t wird es mit Kindern verschiede­ner Eltern: „Wenn Kinder unter einem Dach wohnen, kann man sie nicht unterschie­dlich behandeln, selbst wenn es nur ein Wochenende ist. Man kann nicht zu seinem Kind streng sein und zum anderen nicht.“

· Wer trägt die Verantwort­ung? Sofern die Eltern nicht sehr gut miteinande­r abgesproch­en sind, können Kinder sie gegeneinan­der ausspielen. „Kein Elternteil will der Böse sein und unpopuläre Entscheidu­ngen treffen, vor allem, wenn er das Kind nur am Wochenende sieht“, sagt Brown. Es gebe eine Bezeichnun­g für die Väter, die sich nur für den Spaß zuständig fühlen: „Disneyland-Papas“.

 ??  ?? Kinder wollen, dass jeder Elternteil fair behandelt wird. Mit der Scheidung ist das Familienle­ben nicht erledigt – ständig gibt es neue Hürden
Kinder wollen, dass jeder Elternteil fair behandelt wird. Mit der Scheidung ist das Familienle­ben nicht erledigt – ständig gibt es neue Hürden
 ??  ?? Forschungs­projekt Smile: US-Soziologin Susan L. Brown (li.) sieht Trennungen wie Ulrike Zartler von der Universitä­t Wien
Forschungs­projekt Smile: US-Soziologin Susan L. Brown (li.) sieht Trennungen wie Ulrike Zartler von der Universitä­t Wien

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