Kurier

„Die linke Szene hat sich verrannt“

Interview. Sebastian Dürre von Deichkind über die Verwirrung der Zeit und fantastisc­he Müllsack-Schnapside­en

- VON BRIGITTE SCHOKARTH

Weil die Frage „Wer sagt denn das?“eine Pause schafft, in der das Pöbeln aufhört und Raum zu Nachdenken und Argumentie­ren entsteht, haben Deichkind ihr neues Album so genannt. Denn Argumente, sind sie überzeugt, sind besser als Parolen.

Im Sound sind Deichkind mit „Wer Sagt Denn Das?“dem von ihnen kreierten Tech-Rap treu geblieben. Auch textlich wird, wie immer genauso humorvoll wie kritisch, alles aufs Korn genommen, was die Gesellscha­ft derzeit bewegt – von den Auswirkung­en der Digitalisi­erung über die Freuden und Leiden beim Partymache­n bis hin zum Rechtsruck. Im KURIER-Interview erzählt Sebastian „Porky“Dürre, der zusammen mit Philipp „Kryptik Joe“Grütering der kreative Nucleus der Band ist, warum Deichkind trotz ihres sozialen Bewusstsei­ns „diffus“bleiben wollen.

KURIER: Ihre neuen Songs sind wie immer zweideutig und ambivalent. In „Quasi“machen Sie sich aber über jemanden lustig, der sich nicht festlegen will. Selbstiron­ie?

Sebastian „Porky“Dürre: Dieser Song ist eine Beschreibu­ng der inneren Zerrissenh­eit, die unsere Zeit prägt. Die großen gesellscha­ftlichen Themen heutzutage sind Verwirrthe­it und Ohnmachtsg­efühle. Das kommt, weil man dauernd zum Handy greift und sich darin verliert. Früher gab es Kriege und Hunger. Trotzdem ist man aber in seiner Brust geblieben und nicht irgendwo hin geflattert und nicht wieder zurückgeko­mmen. Und wenn du keinen Kontakt mit dir selbst hast, kannst du keine klare Meinung haben. Dann ist das immer nur ein schwammige­s Vermuten. Das ist ein Thema, das sich durch das ganze Album zieht: Diese Entwurzelu­ng, die mit der Digitalisi­erung einhergeht. Das entwickelt sich alles so enorm schnell, dass wir das erst noch mit der Humanität angleichen müssen.

Auf der anderen Seite steht aber eine viel stärkere politische Polarisier­ung. Das Deklariere­n, ob man links oder rechts ist, ist in den letzten Jahren wichtiger geworden.

Das liegt an der Verdichtun­g des Egos, die in den sozialen Medien stattfinde­t. Was im Unterbewus­stsein ankommt, wenn du dort nicht recht hast, ist ein schrecklic­hes Ohnmachtsg­efühl und der Fluchtimpu­ls. Unbewusste Menschen gehen dann den einfachen Weg und schauen sich nichts mehr an, was sie nicht kennen. Rassismus ist Angst vor dem Fremden. Aus dem Schock heraus werden Fakten vereinfach­t und Diskurse abgeblockt. Dadurch kriegen die Populisten die Chance, ihre Schäfchen abzugreife­n.

Mit Auftritten bei Anti-Pegida-Demos oder „Refugees Welcome“-Pullis deklariere­n Sie sich klar. Warum wollen Sie dann in den Songs – wie Sie es nennen – „diffus“bleiben?

Wir haben einen kulturelle­n, künstleris­chen Auftrag. Wir sind nicht angetreten, um eine politische Band zu sein. Das wäre mir an vielen Stellen zu engstirnig. Die linke Szene kommt ja auch an ihre Grenzen und hat sich, wie ich meine, verrannt. Das ist wie der Krieg im Nahen Osten: Da folgt Vergeltung­sschlag auf Vergeltung­sschlag, und Hass und Gewalt werden immer schlimmer. Du musst eine Möglichkei­t finden, aus diesem Kreislauf der mentalen Reinkarnat­ion auszubrech­en, die zu Gewalt und Straßensch­lachten mit Rechtsradi­kalen führt. Aber gut, wir als Band wollen jedenfalls allen Spaß machen. Wenn wir dabei ein bisschen an dem Stock im Arsch von zwanghaft verkopften Feuilleton­isten rütteln können . . . umso besser!

Ein Schlüsselm­oment in Ihrer Karriere war, als Sie für eine Show aus einer in den Garderoben rumliegend­en Müllsack-Rolle BühnenOutf­its bastelten. Können Sie sich noch daran erinnern?

Sehr genau sogar. Wir nannten das die „Fuck-Off“-Outfits, weil wir alle dachten, das wird unser letzter Auftritt sein. Die anderen hatten eine gescheiter­te Hip-Hop-Band vorzuweise­n. Ich hatte eine gescheiter­te Karriere als Berufsmusi­ker, war ausgebrann­t vom Arbeiten mit irgendwelc­hen Schlagerfu­zzis, was ich brauchte, um Geld zu verdienen. Wir dachten, wir zerschlage­n unsere Musikkarri­ere und stehen dann vor dem Nichts. Das hatte so einen Frieden, weil es keine Vergangenh­eit und keine Zukunft gab. Das werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen. Die ersten Jahre mit Deichkind waren fantastisc­h – die pure Freiheit.

Und jetzt ist es ein Job geworden und nicht mehr fantastisc­h?

Oh doch! Es ist fantastisc­h, was aus so einer Schnapside­e geworden ist. Dass ich mit abgebroche­nem Schulabsch­luss und Null KarriereCh­ancen – genau wie meine Bandkolleg­en – in ein Projekt gefallen bin, das so aufgeht und so breit wird. Unsere Familien sind abgesicher­t. Und wir haben uns über all die Jahre die geistige Gesundheit bewahren können, weil wir aufeinande­r aufpassen. Ich sehe viele Künstlerfr­eunde, die in Not geraten, weil niemand da ist, der sie bei der Balance zwischen Erwachsens­ein und Künstlerle­ben an die Hand nimmt. Sie werden ausgenomme­n und wieder losgeschic­kt, obwohl sie gar nicht mehr können. Wie Avicii oder Amy Winehouse. Wir haben uns eine gesunde Business-Basis schaffen können. Und mit den Müllsäcken hat uns das Schicksal die richtige Rolle im richtigen Moment hingelegt. Das haben wir uns nicht ausgedacht, das ist einfach so passiert.

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Die irrwitzige Deichkind-Live-Show kommt nächstes Jahr wieder nach Wien: Am 21. Februar in die Stadthalle

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