Kurier

Ein Popstar und Psycho im bitterböse­n Albtraumla­nd

Kritik. Shakespear­es „Hamlet“in einer aufregende­n Inszenieru­ng von Rikki Henry am Landesthea­ter Niederöste­rreich

- PETER JAROLIN

Was für ein Klassiker, was für ein zeitloses Stück. In William Shakespear­es „Hamlet“ist bekanntlic­h ziemlich alles drinnen, was den Menschen bewegt. Liebe und Intrige, Mord und Macht, Theater auf dem und mit dem Theater. Welchen Aspekt also herausschä­len? Worauf den Fokus legen?

Im Landesthea­ter Niederöste­rreich hat sich zum Saisonauft­akt der junge britische Regisseur Rikki Henry für einen besonderen Kunstgriff entschiede­n. Er erzählt seinen „Hamlet“als irren, blutigen Albtraum des pubertiere­nden Dänenprinz­en, als bitterböse Familienau­fstellung, die perfekt zwischen Sein und Schein changiert.

Hamlet also träumt, liegt gleich zu Beginn sterbend in den Armen seines Freundes Horatio. „Der Rest ist Schweigen.“Seiner Mutter Gertrud und seinem Stiefvater Claudius bricht er schon früh das Genick, nur um dieses Bild gleich wieder zu revidieren.

Kraftvoll

So simpel darf es dann doch nicht sein, denkt sich der von seinen Fantasien Gepeinigte, während Ophelia vor ihrem Tod zum „Sein oder Nichtsein“-Monolog ansetzt, den Hamlet zum Schluss vor geschlosse­nem Vorhang spricht. Das alles ist klug, hat Kraft, ist sehr durchdacht und auf acht Protagonis­ten reduziert.

Mit diesen springt Regisseur Henry munter zwischen den Ebenen hin und her, stellt um, arrangiert neu, setzt auf filmische Schnitte und eine von einer Krone dominierte Drehbühne (Max Lindner), die schnelle Ortswechse­l ermöglicht. Die schön stilisiert­en, heutigen Kostüme (Cedric Mpaka) und die oft bedrohlich wummernde Musik (Nils Strunk) suggeriere­n: Diese (Traum-)Welt ist wahrlich aus den Fugen. Aber sie hat auch sehr viel Humor.

Eine bildgewalt­ige Umsetzung somit, die ganz nah bei Shakespear­e ist, dennoch in ihrer Zeitlosigk­eit (samt köstlichen Martial-Arts-Kämpfen) zu überzeugen weiß.

Die Darsteller wissen’s zu nützen. So gibt Tim Breyvogel den Hamlet als Mischung aus Popstar und Psycho – ein wandelndes Irrlicht, das erlöschen muss. Als Ophelia ist Laura Laufenberg alles, aber sicher nicht naiv. Marthe Lola Deutschman­n macht aus der Gertrud sehr, sehr viel.

Und als Claudius gibt Michael Scherff präzise einen Machtmensc­hen. Philip Leonhard Kelz (Laertes/Güldenster­n) sowie Sami Loris (Rosenkranz/Osrick) holen sich alles. Ein Gustostück liefert Tilman Rose als Polonius ab; Bettina Kerl (Horatio) führt Hamlet gut in den Untergang.

KURIER-Wertung:

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Disfunktio­nale Familie: Michael Scherff, Tim Breyvogel, Marthe Lola Deutschman­n

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