wie Essig
Er hat kein gutes Image: Der Essig ist sauer und ein Abfallprodukt. Dabei kann er Speisen und Getränken den letzten Schliff verleihen, wenn er mit Liebe hergestellt ist
Es gärt in Favoriten, dem zehnten Wiener Gemeindebezirk. Millionen arbeiten für Erwin Gegenbauer. Tag und Nacht. Ohne Pause. Er überwacht sie streng: Gegenbauer hebt und senkt für sie die Temperatur und den Sauerstoffgehalt. Das geschieht alles, damit die Millionen Bakterien optimale Bedingungen vorfinden. Alles, damit sie seinen Essig zu dem machen, was er ist – eine Spezialität.
Essig zu erzeugen, klingt zunächst einfach. Wer Wein, Fruchtsaft oder Bier stehenlässt, bekommt ihn – ob er will oder nicht. Wie das Endprodukt schmeckt, ist in diesem Fall allerdings Glückssache. Und genau darauf verlässt sich Erwin Gegenbauer nicht. Er züchtet spezielle Bakterien für spezielle Essige, damit die Aromen der Rohstoffe erhalten bleiben. Wie beim Himbeeressig. „Die einfachen Produkte sind die komplexesten“, sagt er.
Geerntet werden die Früchte bei kühlem, trockenem Wetter, damit sie frisch bleiben. Dann werden die Himbeeren vorsichtig gepresst. Der Saft wird mit Reinzuchthefe zur alkoholischen Gärung gebracht. Den Wein, der entsteht, impft Gegenbauer mit der Essigbakterienkultur. Die macht sich ans Werk. Nach Ende der Gärung wird der Jungessig in einem Glasballon gereift. In den Kellern der Essigbrauerei steht einer neben dem anderen. Siebzig verschiedene Sorten Essig gibt es. Sie schimmern in Rot, Gelb, Orange und sattem Braun. Köche und Feinschmecker kaufen sie. Sie melden zurück, wie sie welchen Essig verwendet haben. Sie fragen, was in einem ihrer kreierten Gänge noch fehlen könnte.
Gegenbauer schmeckt, denkt und entwickelt. Das hat er schon als junger Mann gelernt – in der familieneigenen Konservenfabrik. Er verkaufte sie,
als der Preisdruck durch die Supermarktketten zu groß geworden war. Gegenbauer beschloss, dass sein Betrieb klein bleiben wird. Auf dem Naschmarkt, wo die Familie einen Stand führt, testet er aus, ob die Neuheiten bei den Kunden ankommen.
Der Stadtbauer
Wenn ja, geht es weiter. Zwei Drittel der Produkte werden in alle Welt exportiert. „Alles ist Handarbeit“, sagt er. Dass Essig einen schlechten Ruf hat, versteht Gegenbauer nicht. Immerhin braucht es zunächst den Wein, um den Essig zu erzeugen.
Bei der Herstellung soll möglichst wenig Abfall anfallen. Kreislaufwirtschaft ist dem Wiener ein Anliegen. So entstand das Himbeer-Kernöl. Aus etwa 850 Kilogramm Himbeeren – sie werden auch für den Essig verwendet – wird ein Liter Öl gewonnen.
Gegenbauer bezeichnet sich als Stadtbauer. Auf seinem Hof gibt es nebst vieler Pflanzen auch Hühner. Die Tiere fressen, was in der Essig- und Ölproduktion für sie übrig bleibt. Und so werden für Gäste und Familie, wenn gerade Himbeersaison ist, im Hause Gegenbauer in Favoriten Himbeereier produziert. Mit dem besonderen Aroma.