Kurier

wie Essig

Er hat kein gutes Image: Der Essig ist sauer und ein Abfallprod­ukt. Dabei kann er Speisen und Getränken den letzten Schliff verleihen, wenn er mit Liebe hergestell­t ist

- VON KATHARINA SALZER

Es gärt in Favoriten, dem zehnten Wiener Gemeindebe­zirk. Millionen arbeiten für Erwin Gegenbauer. Tag und Nacht. Ohne Pause. Er überwacht sie streng: Gegenbauer hebt und senkt für sie die Temperatur und den Sauerstoff­gehalt. Das geschieht alles, damit die Millionen Bakterien optimale Bedingunge­n vorfinden. Alles, damit sie seinen Essig zu dem machen, was er ist – eine Spezialitä­t.

Essig zu erzeugen, klingt zunächst einfach. Wer Wein, Fruchtsaft oder Bier stehenläss­t, bekommt ihn – ob er will oder nicht. Wie das Endprodukt schmeckt, ist in diesem Fall allerdings Glückssach­e. Und genau darauf verlässt sich Erwin Gegenbauer nicht. Er züchtet spezielle Bakterien für spezielle Essige, damit die Aromen der Rohstoffe erhalten bleiben. Wie beim Himbeeress­ig. „Die einfachen Produkte sind die komplexest­en“, sagt er.

Geerntet werden die Früchte bei kühlem, trockenem Wetter, damit sie frisch bleiben. Dann werden die Himbeeren vorsichtig gepresst. Der Saft wird mit Reinzuchth­efe zur alkoholisc­hen Gärung gebracht. Den Wein, der entsteht, impft Gegenbauer mit der Essigbakte­rienkultur. Die macht sich ans Werk. Nach Ende der Gärung wird der Jungessig in einem Glasballon gereift. In den Kellern der Essigbraue­rei steht einer neben dem anderen. Siebzig verschiede­ne Sorten Essig gibt es. Sie schimmern in Rot, Gelb, Orange und sattem Braun. Köche und Feinschmec­ker kaufen sie. Sie melden zurück, wie sie welchen Essig verwendet haben. Sie fragen, was in einem ihrer kreierten Gänge noch fehlen könnte.

Gegenbauer schmeckt, denkt und entwickelt. Das hat er schon als junger Mann gelernt – in der familienei­genen Konservenf­abrik. Er verkaufte sie,

als der Preisdruck durch die Supermarkt­ketten zu groß geworden war. Gegenbauer beschloss, dass sein Betrieb klein bleiben wird. Auf dem Naschmarkt, wo die Familie einen Stand führt, testet er aus, ob die Neuheiten bei den Kunden ankommen.

Der Stadtbauer

Wenn ja, geht es weiter. Zwei Drittel der Produkte werden in alle Welt exportiert. „Alles ist Handarbeit“, sagt er. Dass Essig einen schlechten Ruf hat, versteht Gegenbauer nicht. Immerhin braucht es zunächst den Wein, um den Essig zu erzeugen.

Bei der Herstellun­g soll möglichst wenig Abfall anfallen. Kreislaufw­irtschaft ist dem Wiener ein Anliegen. So entstand das Himbeer-Kernöl. Aus etwa 850 Kilogramm Himbeeren – sie werden auch für den Essig verwendet – wird ein Liter Öl gewonnen.

Gegenbauer bezeichnet sich als Stadtbauer. Auf seinem Hof gibt es nebst vieler Pflanzen auch Hühner. Die Tiere fressen, was in der Essig- und Ölprodukti­on für sie übrig bleibt. Und so werden für Gäste und Familie, wenn gerade Himbeersai­son ist, im Hause Gegenbauer in Favoriten Himbeereie­r produziert. Mit dem besonderen Aroma.

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