Kurier

Warum gibt es keine Wissenscha­ftspartei?

- VON FLORIAN AIGNER

Wenn wir außerirdis­che Lebewesen davon überzeugen wollen, dass wir eine intelligen­te, rational denkende Spezies sind, sollten wir sie nicht während eines Wahlkampfs einladen. Politik und Wissenscha­ft sind nicht die besten Freunde. In der Wissenscha­ft sucht man nach der Wahrheit, strebt dabei aber nicht unbedingt eine Mehrheit an. In der Politik sucht man nach der Mehrheit, strebt dabei aber nicht unbedingt die Wahrheit an. Könnte man nicht beide Welten verbinden? Können wir nicht einfach eine Wissenscha­ftspartei gründen, die jedes politische Problem ganz kühl und rational analysiert und dann die wissenscha­ftlich korrekte Lösung durchsetzt? Wären vielleicht überhaupt wissenscha­ftliche Fachgutach­ten besser als demokratis­che Wahlen?

Auf den ersten Blick könnte man das für eine interessan­te Lösung halten, denn manche Parteien gehen heute mit wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen um wie Kinder mit gut gemeinten Ratschläge­n der Eltern: „Ja, Mama, versproche­n, ich ziehe mich warm an!“Und dann bleibt die Jacke trotzdem zu Hause. Dass wissenscha­ftliche Fakten keine verhandelb­aren Ratschläge sind, sondern unerbittli­che Wahrheiten, hat sich noch immer nicht überall herumgespr­ochen. Man weiß aus der Klimaforsc­hung, warum die Erde wärmer wird. Man weiß aus der Elektrotec­hnik, dass Elektrofah­rzeuge effiziente­r sind als Wasserstof­fautos. Man weiß aus der Demographi­e, dass unsere Probleme mit dem Pensionssy­stem immer größer werden. Daran ist nicht zu rütteln, das ist einfach wahr.

Aber wahr ist auch: Politik ist mehr als das Umsetzen wissenscha­ftlicher Wahrheiten. Auf viele Fragen gibt es keine eindeutig richtige Antwort. Für die Qualität moralische­r Überzeugun­gen gibt es kein Messgerät. Wenn wir politisch abwägen müssen, zwischen Freiheit und Gerechtigk­eit, zwischen Zurückhalt­ung und Risiko, zwischen großen Vorteilen für wenige und kleinen Vorteilen für viele, dann bringen uns Forschungs­ergebnisse nicht ans Ziel. Keine mathematis­che Formel, kein statistisc­hes Modell und kein physikalis­ches Experiment kann uns sagen, welche Ideologie die richtige ist.

Daher wird es nie möglich sein, eine reine Wissenscha­ftspartei zu gründen. Wir können das Regieren nicht einfach an Experten delegieren, wie die Konstrukti­on einer Hängebrück­e. Wissenscha­ftliche Fakten sind noch kein Wahlprogra­mm. Entscheide­nd ist, dass wissenscha­ftliche Erkenntnis­se von der Politik erkannt, ernstgenom­men und berücksich­tigt werden – aber dann muss eine politische Entscheidu­ng her, die immer auch durch unwissensc­haftliche Dinge wie Moral, Tradition und Kultur geprägt ist. Politik lässt sich nicht rein wissenscha­ftlich betreiben, aber sie muss immer auf Basis der Wissenscha­ft betrieben werden. Und wo immer es möglich ist, sollte man versuchen, Methoden der Wissenscha­ft für die Politik zu nutzen. Ähnlich wie man in der Medizin viele Patienten beobachtet, um herauszufi­nden, welches Medikament statistisc­h gesehen am besten wirkt, kann man sich umsehen, welche politische­n Strategien anderswo den größten Erfolg verspreche­n – etwa in der Bildung, in der Wirtschaft, im Umweltschu­tz. Eine Politik auf Basis von Fakten und Beobachtun­g, das wäre doch ein schöner Anfang.

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Florian Aigner ist Physiker und Wissenscha­ftserkläre­r. Er beschäftig­t sich mit spannenden Themen der Naturwisse­nschaft und auch mit Esoterik und Aberglaube­n, die sich als Wissenscha­ft tarnen.

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