Kurier

„Es ebbt nicht wirklich ab“

Mehr Anzeigen und Urteile nach dem Verbotsges­etz. Doch das Bild der Szene ändert sich

- VON ELISABETH HOLZER UND DOMINIK SCHREIBER

Thomas Mühlbacher, Leiter der Staatsanwa­ltschaft Graz, bezeichnet die Entwicklun­g als besorgnise­rregend: Innerhalb von wenigen Jahre haben sich die Verurteilu­ngen wegen NS-Wiederbetä­tigung mehr als verdoppelt.

Auch die Zahlen im Verfassung­sschutzber­icht kletterten nach oben: Österreich­weit gab es im Vorjahr 1.622 Anzeigen wegen rechtsextr­emer, rassistisc­her oder antisemiti­scher Vorfälle, gegenüber 2017 ein Plus von 2,9 Prozent (1.576 Anzeigen). In diese Deliktgrup­pe fallen die Anzeigen nach dem Verbotsges­etz, sie haben massiv zugenommen: 798 entspreche­nde Verdachtsf­älle gab es 2017, im Vorjahr jedoch 877, ein Zuwachs von 9,9 Prozent.

„Nicht mehr plump“

„Man hat das Gefühl, es ebbt nicht wirklich ab“, sagte Staatsanwa­lt Mühlbacher jüngst bei einer Tagung über Extremismu­s in Graz. In den 1990ern habe es jährlich zwei, drei eingeleite­te Verfahren verfahren wegen Wiederbetä­tigung gegeben. „Das waren Jugendlich­e, die Hakenkreuz­e in die falsche Richtung an Wände geschmiert haben“, erinnert sich Mühlbacher. „Aber was wir jetzt sehen sind keine pubertären Aussagen, keine plumpen Schmierere­ien. Das sind im Wesentlich­en Taten erwachsene­r Männer.“

Die Szene habe sich geändert, so viel bestätigt auch Politikwis­senschafte­r Bernhard Weidinger vom Dokumentat­ionsarchiv des österreich­ischen Widerstand­es (DÖW). „Heutzutage gibt es nicht mehr viele Leute, die in Kameradsch­aftsstrukt­ur organisier­t sind oder revisionis­tische Schriften verfassen. Wenn wir über organisier­te Neonazis sprechen, reden wir immer noch über dieselben Figuren wie vor 30 Jahren.“

Das meint die Partie um den Rechtsextr­emen Gottfried Küssel oder den Steirer Franz Radl, der vor zehn Tagen zu sechs Monaten bedingter Haft wegen Wiederbetä­tigung als Folgestraf­e verurteilt wurde (nicht rechtskräf­tig). Ende Oktober steht ein weiterer Vertrauter Küssels wegen Wiederbetä­tigung in Wien vor Gericht, dessen „Gauleiter“. Doch die Zeiten einer offen auftretend­en VAPO, der „Volkstreue­n Parlamenta­rischen Opposition“Küssels scheinen dennoch vorbei.

„Grundsätzl­ich ist es positiv, wenn der militante Neonazismu­s auf niedrigem Niveau ist“, analysiert Weidinger. „Aber das ist die Folge eines Lerneffekt­es. Diese Leute sehen, dass sie mit offenem Neonazismu­s nichts mehr gewinnen können.“Staatsanwa­lt Mühlbacher sieht das ähnlich: „Die Ideologie bewegt sich auf die Mitte der Gesellscha­ft zu.“Geschickt eingefädel­te Taten zeigten, dass „da Intelligen­z dahinter steckt. Das macht es gefährlich.“

Ganz anders ist die Lage in Deutschlan­d – dort berichtete die ARD am Wochenende, dass die Zahl der sichergest­ellten Waffen im rechtsextr­emen Milieu im Vorjahr (von 676) auf 1091 gestiegen ist.

Offen zur Schau getragene Gesinnung wie vor einigen Jahren bei den „Objekt 21“Verfahren in Oberösterr­eich ist selten: Ein Angeklagte­r kam mit einer „Combat 88“Jacke in den Gerichtssa­al, eine für „Heil Hitler“stehende Ziffernkom­bination − zusätzlich zum tätowierte Reichsadle­r auf dem Kopf.

Schwerer fassbar

„Rechtsextr­eme Inhalte werden weitaus subtiler und strafrecht­lich schwer fassbarere­r an den Empfängerk­reis weitergebe­n“, resümiert Mühlbacher. Vom Bild der Neonazis in Bomberjack­en müsse man sich endgültig lösen.

Das DÖW schätzt diese Szene in Österreich als klein ein, 1.000 Personen, doch nur die Hälfte von ihnen rechtsextr­em. „Ich warne davor, diese Problemati­k auf den kleinen Ausschnitt zu reduzieren“, mahnt Weidinger. Längst habe sich eine gebildeter­e Schicht an Rechtsextr­emen etabliert, die wisse, wie weit sie sich strafrecht­lich wagen dürfe, Stichwort Identitäre Bewegung. „Sie betreiben die modernisie­rte, ins 21. Jahrhunder­t geholte Form des Rechtsextr­emismus.“Die Identitäre­n streiften am Nationalso­zialismus nicht direkt an, denn „sie haben erkannt, dass man auf dem Feld nichts holen kann. Aber ihr Ziel ist globale Apartheid, das ist nur auf verbrecher­ische Weise umsetzbar. Das wollten die früheren Rechtsextr­emen auch.“

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Beim „Objekt 21“-Prozess war die Gesinnung offensicht­lich
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Franz Radl wird Kreis um den Rechtsextr­emen Gottfried Küssel zugerechne­t

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