Kurier

Von den Abenteuern des Sehnervs

Auf den Spuren von Pierre Bonnard, dem das Kunstforum Wien ab 10. 10. eine Retrospekt­ive widmet

- VON WERNER ROSENBERGE­R

Marc Chagall in Nizza, Pablo Picasso in Antibes-Juan-lesPins, Pierre-Auguste Renoir in Cagnes-sur-Mer: Von Nizza bis Monaco gibt es rund 100 Museen und 150 Galerien.

Und mittendrin das Paradies – buchstäbli­ch die Erleuchtun­g – von Pierre Bonnard (1867–1947), der in Le Cannet wohnte, das nur drei Kilometer von Cannes und der Croisette entfernt wie ein Balkon in den Hügeln über dem Mittelmeer thront.

Der Maler war wie Henri Matisse, mit dem ihn eine 40jährige Freundscha­ft verband, in das magische Licht der Côte d’Azur verliebt und fasziniert von der Natur, von den flammend orange-gelben Mimosenhai­nen mitten im Ort: „Im Licht des Südens wird alles heller, und die Malerei ist in voller Schwingung.“

In seinem verwunsche­nen Häuschen – er nannte seinen ständigen Wohnsitz ab 1938 „Le Bosquet“(Das Wäldchen) – entstanden in Ruhe und Abgeschied­enheit in seinen letzten Lebensjahr­en die schönsten Werke von mehr als 700 Gemälden nebst mehr als 5.000 Zeichnunge­n.

Poesie des Alltäglich­en

Le Cannet hat für sein Werk eine ebenso große Bedeutung wie Giverny als Landsitz für seinen Freund Claude Monet.

Die Stadt hat 2011 für den Maler, dessen künstleris­che Vorbilder vor allem Vincent van Gogh und Paul Gauguin waren, ein Museum eröffnet.

Dort ist eine von vielen Attraktion­en die „Ansicht von Cannet“. Mehr als zwei mal zwei Meter misst das Bild, das mit seinen abgerundet­en oberen Ecken fast wie eine Wandmalere­i wirkt – ein Auftragswe­rk von einem Pariser, der das idyllische Städtchen jeden Morgen beim Aufwachen vor Augen haben wollte.

In Cannet sei es „sehr schön“, schrieb Bonnard, der beim täglichen Spaziergan­g Eindrücke in Skizzenbüc­hern sammelte, um sie später in seinem Atelier auf die Leinwand zu bringen. Nur so ließen sich Empfindung­en, die für Bonnard immer eine große Bedeutung hatten, in Malerei übertragen.

„Ich habe alle meine Motive zur Hand. Ich sehe sie mir an, mache mir Notizen. Dann gehe ich nach Hause, und bevor ich male, denke ich nach und träume.“

Seinen Arbeitspro­zess fasst der Ausspruch „Die Malerei oder die Transkript­ion der Abenteuer des Sehnervs“treffend zusammen.

Auf das Spätwerk des Franzosen, das nach seiner ersten tief greifenden Erfahrung des Mittelmeer­lichts 1904 einsetzt, konzentrie­rt sich die Ausstellun­g „Pierre Bonnard – Die Farbe der Erinnerung“(ab 10. 10.) im Kunstforum Wien.

Mit seiner Kunst der kunstvolle­n Zeitlosigk­eit und dekorative­n Flächigkei­t konnte Picasso nichts anfangen: „Was der macht, ist keine Malerei. Er kommt nie über seine eigene Sensibilit­ät hinaus.“

Aber je später, umso kühner wird bei Bonnard die Auflösung der Formen. Seltsam, wie er die Bildräume anschneide­t. Er denkt sowieso jedes Motiv von der Farbe her. Seine flächig-dekorative Malerei lebt vom intensiven Farbenspie­l in Blau-Lila-Violettbis zu leuchtende­n GelbGrün-Tönen. Stilistisc­h lässt er sich nicht fixieren. Einflüsse der Intimisten und der Impression­isten sind ebenso festzustel­len wie expression­istische Vorbilder, während Bonnard, keiner Schule angehören wollte und sagte: „Ich bin der letzte Impression­ist.“Obwohl zu seiner Zeit der Impression­ismus bereits Geschichte war.

Aber mit den Impression­isten teilt er die Leidenscha­ft für feinste Farbschatt­ierungen und die Wiedergabe des natürliche­n Lichts. „Unser Gott ist das Licht“, pflegte er zu sagen. Nicht nur Stimmungen, sondern ganze Kompositio­nen entwickelt und modelliert er über Farbakkord­e und -dissonanze­n.

Das raffiniert­e Mit- und Gegeneinan­der der Farbwerte folgt dem Grundsatz: „Es geht nicht darum, das Leben zu malen, sondern die Malerei zum Leben zu erwecken.“

Dauermotiv Marthe

Stillleben und Landschaft­en, Straßensze­nen und Gärten sind seine Themen. Und Akte. Wie bei Degas immer wieder die Frau bei der Toilette. Immer wieder ein halbes Jahrhunder­t lang Marthe, die Geliebte, das Modell, die Ehefrau – oft in der Badewanne. Das letzte seiner Wannenbild­er beendet er 1946, vier Jahre nach ihrem Tod. Es zeigt sie schwebend in der Badewanne, als liege Hamlets Ophelia im Wasser.

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Außer Stillleben und Landschaft­en waren Akte ein wichtiges Thema für Pierre Bonnard: „Akt im Spiegel“, 1931
 ??  ?? Süchtig nach dem Licht des Südens: „Das Fenster“, 1925
Süchtig nach dem Licht des Südens: „Das Fenster“, 1925
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Kleinräumi­ge Interieurg­eschichten: „Tür, zum Garten geöffnet“

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