Thesen nach der Nationalratswahl
Skandale, Comeback & TV-Duelle. Die Politikexperten Thomas Hofer und Peter Filzmaier über die Lehren aus der Wahl 2019.
Skandale greifen auch eine Woche vor dem Wahltag Bis jetzt herrschte der Mythos unter den Meinungsforschern, dass ein Skandal zehn bis vierzehn Tage braucht, bis er beim Wähler angekommen ist – und vor allem auch Auswirkungen auf das Wahlverhalten hat. Der Spesenskandal um Ex-FPÖ-Vizekanzler HeinzChristian Strache zeigte, dass es auch anders laufen kann. „Wenn es so etwas Handfestes wie ein GucciTascherl ist, dann kommt das natürlich schneller beim Wähler an“, sagt Politikexperte Thomas Hofer.
Für den bekanntesten Politikkommentator des Landes, Peter Filzmaier, war es die Summe aller FPÖ-Skandale, die in den letzten Tagen vor der Wahl nochmals Bewegung in das Wahlverhalten gebracht hat. „Die Käuflichkeit der Politik im größeren Sinne hat eine Rolle gespielt. Aber hier hat die Wahltagsbefragung gezeigt, dass die Wähler dieses Verhalten explizit der FPÖ und Strache zuordnen.“
Mythos widerlegt: „Wer Neuwahlen ausruft, verliert“Ein weiterer Mythos, der sich hartnäckig hält, aber nicht belegt werden kann. Sebastian Kurz hat nun schon zum zweiten Mal Neuwahlen ausgerufen, und beide Male ging er als fulminanter Sieger aus dieser Wahl hervor. Ein weiteres Beispiel: Auch 2002 hatte Wolfgang Schüssel die Koalition aufgekündigt, und am Wahlsonntag war er der große Sieger mit 42 Prozent.
Klima ist der Wahlgewinner Das Klimathema hat Grün, aber auch Neos genutzt und den Zauderern, vor allem in der SPÖ, geschadet.
Alle zwei Jahre wählen Mittlerweile wählen wir alle zwei Jahre – die Profiteure dieses Rhythmus waren die Türkisen.
Kurz war das stärkste Wahlmotiv
Der Fokus auf die Spitzenkandidaten wird immer stärker. Sebastian Kurz rangiert mit 31 Prozent an der Spitze der fünf wichtigsten Wahlmotive. Zum Vergleich: Bei der SPÖ scheint Frontfrau Pamela RendiWagner gar nicht mehr unter den fünf wichtigsten Wahlmotiven auf. Und Sebastian Kurz zieht bei den weiblichen Wählern: 41 Prozent der wahlberechtigten Frauen wählten die ÖVP. Keiner hat eine Wahlkampfmaschinerie wie die ÖVP Beim Wahlkampf 2017 überschritt die ÖVP die Wahlkampfkostengrenze von sieben Millionen Euro deutlich. 13 Millionen Euro pfefferte die ÖVP damals in den Wahlkampf. Dieses Mal musste sich die ÖVP strikt an die Obergrenze von sieben Millionen halten, drohen doch sehr hohe Strafen.
Je nach Höhe der Überschreitung betragen die Strafen jetzt bis zu 150 Prozent jener Summe, um die die sieben Millionen überzogen wurde. Trotz der geringeren Mittel erzielte Kurz ein historisches Ergebnis mit einem Abstand von 16 Prozentpunkten zur SPÖ. Der größte Unterschied in der Zweiten Republik. „Der Wahlkampfmaschinerie der ÖVP haben die anderen Parteien nichts entgegenzusetzen. Sie hat es perfektioniert, über diverse Kanäle eine Masse an Wählern zu erreichen“, sagt Hofer. Und noch eines unterscheidet die beiden Parteien: „Bei jeder Weggabelung ist die SPÖ falsch abgezweigt.“ Wahlkampf der Skandale Schreddern, Hacken, Straches Spesen-Skandal: Der Wahlkampf war von Anfang bis zum Ende wie kein anderer von Skandalen überlagert. Sachthemen spielten – mit Ausnahme des Klimawandels – kaum eine Rolle.
Doskozil ist keine Alternative für die SPÖ... ...nicht nur weil er derzeit gesundheitlich angeschlagen ist, sondern weil Burgenlands Landeshauptmann Doskozil nach der EU-Wahl die nächste Niederlage einfuhr. Erstmals seit 1966 ist im Burgenland nicht die SPÖ stimmenstärkste Partei bei Nationalratswahlen. Die Volkspartei, 2017 mit 32,8 Prozent noch knapp hinter der SPÖ, erreichte diesmal 38,5 Prozent und überholte damit die Sozialdemokraten, die auf 29,7 Prozent kamen.
Die SPÖ hat ein massives Problem
Zwar fuhr die SPÖ ein Minus von 5,6 Prozent ein und steht nun bei einem historischen Tiefststand von 21,2 Prozent. Das bedeutet eine Reduktion um zwölf Mandate im Nationalrat. Doch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner meinte noch am Wahlabend: „Die Richtung stimmt.“Das Wahlverhalten zeigt allerdings ein anderes Bild: Nur bei den Pensionisten kommt die SPÖ auf über 30 Prozent. Bei den unter 30-Jährigen wählen nur noch 19 Prozent die Sozialdemokratie. „Die SPÖ muss sich endlich von dem Denkfehler lösen, dass sie automatisch beliebter wird, wenn die FPÖ einen Skandal hat“, so Filzmaier. Das Rumoren beginnt bereits in der Partei – und die mächtigen Länderchefs fordern eine Erneuerung.
Auch in der Politik gibt es ein Comeback Werner Kogler hatte es selbst angekündigt: „Es soll das größte Comeback seit Lazarus werden.“Ein Satz, zunächst nur als Motivation dienen sollte, wurde am Wahlabend Realität. Vom Tiefststand 2017 zum Höchststand 2019 mit 13,8 Prozent. „Es ist das erste Comeback einer Partei, die aus dem Nationalrat flog. Ich werde noch brauchen, um das zu realisieren“, sagte Kogler in der Wahlnacht. Mit diesem Wahlergebnis ist keine andere grüne Partei in der EU erfolgreicher.
Das liberale Potenzial ist ausgeschöpft
Die Neos schafften trotz eines Wahlkampfs ohne Fehler nicht einmal 8,1 Prozent. Ein Plus von 2,8 Prozent. Parteichefin Beate Meinl-Reisinger zeigte sich zwar glücklich über den Zugewinn, aber der pinke Großspender Hans-Peter Haselsteiner rechnete mit mehr als 10 Prozent.
TV-Duelle müssen reduziert werden
Vor allem wenn bei jedem TV-Duell de facto dieselben Fragen gestellt werden.