Mega-Prozess gegen VW gestartet
Europäischer Gerichtshof muss klären, ob Prozesse gegen Autobauer in Österreich zulässig sind
Knapp vier Jahre nach Platzen des Dieselskandals startete gestern, Montag, am Oberlandesgericht Braunschweig der Mammutprozess der Verbraucherschützer gegen den VW-Konzern. Da sich rund 470.000 geschädigte Autobesitzer diesem sogenannten „Musterfeststellungsverfahren“angeschlossen haben, hat die Justiz die Braunschweiger Stadthalle (2.300 Sitzplätze) zum Verhandlungssaal umfunktioniert. Das zivilrechtliche Instrument „Musterfeststellungsklage“wurde erst Ende 2018 in Deutschland eingeführt und die Causa VW ist das erste große Verfahren.
In diesem Sammelverfahren muss das Gericht grundsätzlich klären, ob VW tatsächlich Tausende Kunden mit dem Einbau einer illegalen Abgasschummel-Software in Dieselfahrzeugen betrogen und getäuscht hat oder nicht. Wird das Musterverfahren am Ende gewonnen, sehen die Geschädigten, darunter auch viele Österreicher, noch kein Geld. Sie können aber mit einem für sie positiven Braunschweiger Urteil ihre SchadenersatzForderungen gegen den Wolfsburger Autobauer vor anderen Gerichten einklagen.
Krux ist Mehrverbrauch
Das Gros der Kläger lässt sich in Braunschweig von Prozessfinanzierern vertreten, welche die Kosten übernehmen und im Erfolgsfall etwa ein Drittel des Schadenersatz-Erlöses einstreifen. Da mit keinem Entgegenkommen von VW oder einer Einigung mit den Wolfsburgern zu rechnen ist, kann sich das Musterverfahren im schlimmsten Fall über vier, fünf Jahre ziehen.
„VW macht in der Regel Klägern erst dann ein Angebot, wenn der Konzern sieht, dass er vor der höchsten juristischen Instanz verliert. Dann kauft er sich frei oder nimmt ein Auto zurück“, sagt Autoindustrie-Experte Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen zum KURIER. „Nach meiner Einschätzung kann nach dem deutschen Schadensrecht in diesem Verfahren für die Betroffenen nicht viel herauskommen, vielleicht 200 Euro für den Mehrverbrauch.“
Dudenhöffer spielt dabei auf den Umstand an, dass nach den behördlichen angeordneten Software-Updates bei betroffenen VW-Fahrzeugen der Treibstoffverbrauch bei vielen zumindest leicht gestiegen ist. Laut Focus online hegt auch der Braunschweiger Richter Michael Neef Zweifel daran, dass den Fahrzeughaltern ein Schaden entstanden ist, weil sie die Fahrzeuge nach Platzen des Skandals weiter ohne Einschränkung benutzen konnten. So ist es auch kein Wunder, dass der Prozessfinanzierer MyRight laut Medienberichten jedem Muster-Kläger, der sich vom Verfahren zurückzieht, 500 Euro SofortSchadenersatz zahlt. Denn MyRight verfolgt offenbar eine andere Klagestrategie gegen den VW-Konzern.
Klagen in Österreich
Indes hat sich der österreichische Verein für Konsumenteninformation (VKI) dem Musterverfahren in Braunschweig nicht angeschlossen.
„Ich glaube, dass das deutsche Musterverfahren längern dauern wird als unsere Sammelklagen“, sagt VKIJurist Thomas Hirmke zum KURIER. Der VKI hat in Österreich 16 Sammelklagen für 10.000 Kfz-Halter eingebracht. Mutmaßlicher Schaden: 60 Millionen Euro. Begründung: Wertminderung durch die Schummel-Software, falsche Abgas-Angaben im Typenschein und Haftung für Folgeschäden des Software-Updates.
„Wir machen 20 Prozent vom Auto-Kaufpreis als Schaden geltend“, sagt Hirmke. Doch in der Sache selbst wurde hierzulande eigentlich noch nicht verhandelt.
Denn VW behauptet, dass österreichische Gerichte für die 16 Sammelklagen nicht zuständig sind, sondern nur deutsche. Die Kernfrage der Zuständigkeit muss der Europäische Gerichtshof (EuGH) erst klären. Hirmke: „Eine Entscheidung erwarten wir in der zweiten Hälfte 2020.“