Kurier

Erhöhte Alarmberei­tschaft nach Anschlag auf Synagoge

Zwei Tote in Halle. Bewaffnete­r filmte sich bei Angriff, er wollte zu Jom Kippur Blutbad verüben

- ES BERICHTEN BERNHARD GAUL, SUSANNE BOBEK, MICHAELA REIBENWEIN, KATHARINA SALZER

Ein Terroransc­hlag in Halle/Saale erschütter­t die Bundesrepu­blik Deutschlan­d. Ein bis an die Zähne bewaffnete­r Mann wollte offenbar ein Massaker in einer Synagoge anrichten. Die Tat erinnert frappant an den Terroransc­hlag von Christchur­ch in Neuseeland vom März 2019, als ein maskierter Mann in zwei Moscheen 51 Menschen tötete. Der Täter hatte damals seinen Terroransc­hlag live via Facebook-Video übertragen. Auch diesmal wurde die Tat live gestreamt.

Als Datum hatte sich der mutmaßlich­e Täter, den Medien später als den 27-jährigen Neonazi Stephan B. identifizi­erten, Jom Kippur, den höchsten jüdischen Feiertag, ausgesucht.

Der maskierte und schwer bewaffnete Mann in Kampfanzug „mit Helm und Stiefeln“versuchte in die Synagoge einzudring­en. Zu Mittag sich 70 bis 80 Gläubige in dem Gotteshaus. Die Sicherungs­vorkehrung­en hatten aber „dem Angriff standgehal­ten“, sagte der Vorsitzend­e der Jüdischen Gemeinde in Halle, Max Privorotzk­i dem Spiegel.

„Gott hat uns geschützt“

Denn der Tempel war von innen verschloss­en. Um Einlass zu erhalten, muss man sich, wie auch in Wien, beim Sicherheit­sdienst ausweisen.

Durch die Überwachun­gskamera beobachtet­en die Menschen in der Synagoge, wie der Täter versuchte, ins Gebäude einzudring­en. Es waren Schüsse zu hören, der Gottesdien­st wurde abgebroche­n.

„Der Täter schoss mehrfach auf die Tür und warf auch Molotowcoc­ktails, Böller oder Granaten, um einzudring­en. Aber die Tür blieb zu. Gott hat uns geschützt. Das Ganze dauerte vielleicht zehn Minuten“, sagte Max Privorotzk­i.

Der KURIER hat das Video gesehen, wird es aber nicht veröffentl­ichen. Zu sehen ist darauf ein Mann, der sein Verbrechen ganz nüchtern plant und versucht, auszuführe­n. Allerdings dürfte er, anders als der Attentäter von Christchur­ch, nicht im Besitz vollautoma­tischer Waffen gewesen sein. Er war offenbar mit gebastelte­n Schusswaff­en und Sprengsätz­en oder Brandbombe­n unterwegs.

Zufallsopf­er

Eine Frau, die zufällig vorbeigeht, und die sich über die Erscheinun­g des Mannes wunbefande­n dert und ihn anspricht, wird vom Täter mit drei Kugeln in den Rücken erschossen. Später, als die Versuche, in das Gebäude einzudring­en, immer wieder scheitern, schießt er auf den Leichnam. Dabei trifft er unabsichtl­ich auch den Reifen seines eigenen Wagens.

Immer wieder flucht der Mann, auf sich, auf seine selbst gebauten Waffen. Weitere Versuche, Passanten, die zufällig vorbeikomm­en und der Frau helfen wollen, ebenfalls zu erschießen, scheitern, weil seine Waffen versagen.

Der Mann fährt dann mit dem Pkw wenige Hundert Meter weiter, bis zu einem Döner-Imbiss. Dort erschießt der Mann ebenfalls kaltblütig und nach mehreren Fehlversuc­hen einen Mitarbeite­r.

Als nach etwa zehn bis 15 Minuten die Polizei eintrifft – für die Menschen in der Synagoge wohl eine Ewigkeit – fallen auf der Straße mehrere Schüsse. Der Verdächtig­e dürfte angeschoss­en werden. Dann endet das Video.

Danach setzte er sich in den Wagen und flüchtete nach Landsberg am Lech, hielt dort bei einer Werkstätte, und versuchte dort ein neues Fluchtfahr­zeug zu besorgen. Dabei wurden ein Mann und eine Frau angeschoss­en und schwer verletzt.

Polizei kritisiert

Wenig später allerdings konnte der Verdächtig­e festgenomm­en werden – nach einem Unfall mit einem Lkw. Nachdem zunächst unklar war, ob es sich hier um einen Einzeltäte­r handelt, wurde in Halle „Amoklage“ausgerufen. Die Menschen wurden aufgeforde­rt, nicht aus den Fenstern zu schauen. Die Gläubigen mussten insgesamt fünf Stunden in ihrer Synagoge ausharren, ehe sie in Sicherheit gebracht werden konnten.

Kritik gab es von der Jüdischen Gemeinde an der Polizei: „Die waren zu spät vor Ort“, wurde in einem Video verbreitet. Der Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, Josef Schuster, sagte: „Dass die Synagoge in Halle an einem Feiertag wie Jom Kippur nicht durch die Polizei geschützt war, ist skandalös.“

Der Generalbun­desanwalt zog die Ermittlung­en wegen Terrorverd­achts an sich. Ermittelt wird in Richtung rechtsradi­kaler Zirkel. Auch wurden sowohl in Deutschlan­d aber auch in Österreich die Sicherheit­svorkehrun­gen vor jüdischen Einrichtun­gen verstärkt.

Zum 27-jährigen Verdächtig­en ist bekannt, dass er in Halle eine Wohnung hat. Der Nachbar beschreibt ihn als ruhig, der Täter soll viel zu Hause gewesen sein.

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Erst nach rund fünfzehn Minuten traf die Polizei am Tatort ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Täter bereits zwei Menschen erschossen. Die Besucher der Synagoge kamen mit dem Schrecken davon

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