Kurier

Wer hat Angst vorm grünen Fundi?

Die Wiener Grünen gelten als Risikofakt­or für eine Koalition mit der ÖVP. Nicht ganz zu Unrecht

- VON STEFANIE RACHBAUER UND RAFFAELA LINDORFER

Ein Gespenst geht um. Das Gespenst vom linken Wiener Grünen. Er – oder sie? – trinkt Soja-Latte, trägt Birkenstoc­kSchlapfen, hasst Autofahrer. (Soweit zumindest das Klischee.) In einer türkis-grünen Regierung könnte er – oder sie! – plötzlich zum Zünglein an der Waage werden.

Eine Koalition von ÖVP und Grünen hätte im Nationalra­t nur eine knappe Mehrheit von 97 (bei 92 benötigten) Mandaten. Gerade die Wiener Grünen-Funktionär­e gelten als besonders links – und wenig kompromiss­bereit, wenn es um die Zusammenar­beit mit der ÖVP geht. Scheren sie bei unliebsame­n Beschlüsse­n aus, dann könnte das die Koalition gefährden.

Aber ist das Schreckges­penst real? Tendenziel­l ja. Denn tatsächlic­h sind die grünen Funktionär­e in der Bundeshaup­tstadt speziell.

· Ihre Wurzeln Aktivisten sind ein zentraler Bestandtei­l der grünen DNA in Wien. In vielen Bundesländ­ern haben bei den Grünen gewählte Funktionär­e das Sagen – etwa die Gemeinderä­te. In Wien gibt es viele Aktivisten ohne öffentlich­e Funktion. „Die sind vermutlich weniger kompromiss­bereit“, sagt der Politik-Forscher Laurenz Ennser-Jedenastik vom Institut für Staatswiss­enschaft an der Universitä­t Wien.

Die starke Verbindung zur Aktivisten-Szene spiegelt sich in den Biografien der Funktionär­e wieder: Viele von ihnen wurden in NGOs sozialisie­rt. Und zwar nicht – wie man erwarten würde – primär in umweltpoli­tischen. Sondern in der Antifa-Szene oder in sozialpoli­tischen Bewegungen.

· Ihre Struktur Wenn die Wiener Grünen eines nicht vertragen können, dann ist es Autorität. Was zu der kuriosen Situation führte, dass es über Jahrzehnte keinen Parteichef bzw. keine Parteichef­in gab. Birgit Hebein ist die Erste, die sich offiziell so nennen darf. Dazu gekürt wurde die Wiener Vizebürger­meisterin in einem komplizier­ten Wahlverfah­ren, dass es den Stimmberec­htigten erlaubte, gleich mehrere Kandidaten zu unterstütz­en. Ganz basisdemok­ratisch. Schließlic­h mussten alle Tendenzen und Befindlich­keiten berücksich­tigt werden.

· Ihre Vertreter Birgit Hebein macht kein Hehl daraus, wo sie politisch steht: „Natürlich mache ich linke Politik, was sonst?“, erklärte sie kurz nach ihrer Wahl. In anderen Worten: Hebein zählt zu den „Fundis“. Wie auch – exemplaris­ch – David Ellensohn, grüner Klubchef im Rathaus. Ellensohn hat sich dem Kampf gegen das Glücksspie­l und Investor Michael Tojner verschrieb­en. Und er beschimpft ÖVP-Funktionär­e per Mail gerne mal als „Wixer“.

Ihnen gegenüber: Die „Realos“wie der junge Gemeindera­t Peter Kraus. Er zeigte sich etwa zuletzt in einem Online-Video in einem Auto fahrend. Parteiinte­rn kam das nicht gut an. Von den früheren Parteigran­den Maria Vassilakou und Christoph Chorherr noch gefördert, sind die Realos derzeit auf dem absteigend­en Ast.

· Ihre Selbsteins­chätzung Das linke Image passt zur Selbsteins­chätzung der Grünen. Kandidaten aus Wien stuften sich etwa in einer Studie der Uni Wien 2013 als linker ein als Grüne aus dem Rest Österreich­s: Auf einer Skala von

0 (weit links) bis

10 (weit rechts) erreichten die Wiener Grün-Politiker den Wert von 2. Die Grünen aus anderen Ländern kamen auf 2,5 Punkte. · Ihre Themen Was die Inhalte betrifft, zeigt die Studie nur wenig Unterschie­de zwischen Kandidaten aus Wien und jenen aus den Bundesländ­ern. „Kleine Unterschie­de gibt es bei genderrele­vanten Fragen, aber nicht in sozioökono­mischen Fragen“, sagt Ennser-Jedenastik. So sprachen sich 85 Prozent der Wiener Kandidaten dafür aus, bei gleicher Qualifikat­ion Frauen zu bevorzugen. Unter den restlichen Kandidaten waren es nur 59 Prozent. Umweltpoli­tik war nur für 88 Prozent der Wiener, aber für 97 Prozent der restlichen Kandidaten wichtiges Thema. Mit Hebein, die einen linken Kurs einschlage­n wird, könnten diese Unterschie­de noch größer werden. Das bedeutet: Weniger Kämpfe um Radwege (als unter Vassilakou), mehr um Soziales.

· Ihre Bündnisse Wie links die Grünen wahrgenomm­en werden, hängt nicht zuletzt damit zusammen, mit wem sie koalieren. Wie eine Studie zeigt, ist der Koalitions­partner einer der prägendste­n Faktoren für das Bild einer Partei, sagt Ennser-Jedenastik. Der Ruf der Wiener Grünen dürfte also auch daher rühren, dass sie mit der SPÖ regieren. In anderen Ländern, etwa in Tirol, ist oder war stets die ÖVP der Koalitions­partner.

· Wer aber sind ihre Wähler? Grüne Wähler sind – statistisc­h gesehen – weiblich, jung und sehr gut gebildet. Ihr Einkommen liegt (dem Alter geschuldet) unter dem Schnitt, dafür haben sie einen höher qualifizie­rten Job, zum Beispiel im öffentlich­en Dienst. Die Grün-Wähler leben in einer größeren Stadt oder im Speckgürte­l, sind Single oder unverheira­tet. Sie ernähren sich bewusst, kaufen regionale Produkte und sind mit dem Rad unterwegs.

Dieser Typus wird, seit Werner Kogler die Partei übernommen hat, aber zunehmend aufgeweich­t, sagt Meinungsfo­rscher Wolfgang Bachmayer. „Kogler hat ein altes Problem gelöst: Er hat die Wählerschi­cht von Oberlehrer­innen zu den Hemdsärmel­igen hin verbreiter­t.“

· Und was wollen die Wähler? Kurz gesagt: Der Grün-Wähler will ein gutes Leben – und ein reines Gewissen. Grün-Sein sei für die breite Masse keine ideologisc­he Frage, sagt Bachmayer. Sondern eine Lebensphil­osophie, für manche sogar ein „Lifestyle“.

Gerade bei der jüngsten Nationalra­tswahl waren – angezogen vom Klima-Thema – viele Pragmatike­r unter den Grün-Wählern. „Sie haben diesmal die Grünen gewählt, beim nächsten Mal vielleicht die SPÖ“, sagt Bachmayer.

In dieser Distanz zur Ideologie besteht der gravierend­ste Unterschie­d zu den Funktionär­en. Oder, wie Bachmayer es ausdrückt: „Wenn die 665.000 Grün-Wähler mit der ÖVP am Verhandlun­gstisch sitzen, wäre es einfacher, eine Koalition zustande zu bringen, als wenn man fünf GrünFunkti­onäre schickt.“

Wollen sich die Grünen auf ihre breitere Wählerscha­ft einstellen, müsse Kogler seinen offenen Kurs beibehalte­n, sagt Bachmayer. Konsequenz sei aber beim Thema Klimaschut­z gefragt: „Wenn die Partei in einer Regierung in dem Bereich zu wenig weiterbrin­gt, würde man ihr das übel nehmen“, sagt Bachmayer.

Freilich sei auch Integratio­n für Grün-Anhänger ein Thema – aber auch da ist die Wählerscha­ft weitaus realistisc­her als so mancher Funktionär das wahrhaben will: „Der Grün-Wähler schreit nicht nur: ,Refugees welcome‘. Er weiß, dass Integratio­n eine Bringschul­d auf beiden Seiten ist.“

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