Kurier

Kohle und Kindergeld heizen Polens Wahlkampf an

Reportage. Smog, Pensionsza­hlungen und Kindergeld erregen die Gemüter in Oberschles­ien vor der Wahl am Sonntag.

- AUS WARSCHAU JENS MATTERN

„Ihr wollt den Kindern das Geld wegnehmen, ihr Diebe!“, schreit der Mann in einer wattierten Jacke, nachdem er das Flugblatt der Kandidatin Monika Rosa von einem Wahlhelfer ausgehändi­gt bekam. „Schämen Sie sich nicht, hier aufzutrete­n?“fragt er die Abgeordnet­e, die hinzukommt. „Nein, wir schämen uns nicht“, kontert die Liberale.

Szenen wie diese, die sich auf dem Marktplatz der oberschles­ischen Metropole Katowice (Kattowitz) abspielte, habe sie öfters erlebt. Es ist Wahlkampf in Polen, am kommenden Sonntag wird der Sejm gewählt. Die 33-jährige Rosa, Chefin der liberalen Partei „Modernes Polen“(N) in Schlesien, gehört dem opposition­ellen Wahlbündni­s Staatsbürg­erliche Koalition (KO) an. In Umfragen rangiert es mit 20 Prozent hinter der seit 2015 regierende­n Partei „Recht und Gerechtigk­eit“(PiS), die bei 45 Prozent liegt.

Unter anderem durch die Einführung von Sozialleis­tungen wie Kindergeld haben die Nationalko­nservative­n an Popularitä­t gewonnen. Sie seien aber auch für die aggressive Stimmung verantwort­lich, Frau Rosa nennt das staatliche Fernsehen TVP. Dort wird fälschlich­erweise erzählt, die Opposition wolle das Kindergeld wieder abschaffen.

Stimmenkam­pf im Kohlerevie­r

In der bevölkerun­gsreichen Woiwodscha­ft Schlesien ist der Druck besonders groß. Wer hier die meisten Stimmen erzielt, gewinnt die Wahl in Polen, heißt es. Lange war dort die „Bürgerplat­tform“(PO), die sich mit der liberalen „N“und Kleinparte­ien zu einem Bündnis vereinigt hat, tonangeben­d. Doch die PiS unternimmt einiges, um in Polens Kohlerevie­r zu gewinnen – Milliarden­investitio­nen für Straßen und Infrastruk­tur will sie dort tätigen.

Premier Mateusz Morawiecki ließ sich hier auf die Liste setzen, sein Konterfei dominiert auf riesigen Billboards an den Stadtrände­rn. Auch Andrzej Kaspraczyk, ein ehemaliger Bergmann, wird ihn wählen, er rechnet mit der versproche­nen 13. und 14. Pensionsza­hlung. Die konservati­v-liberale PO, die von 2007 bis 2015 Polen regierte, habe ihn um eine anständige Altersvers­orgung betrogen, sagt er.

Für Krzysztof Zwolanski, pensionier­ter Arbeiter einer Stahlhütte, zählt anderes – er war 1980 wie viele Mitglied in der freien Gewerkscha­ft Solidarnos­c und sieht mit der PiS eine neue Unfreiheit aufziehen: „Aus politische­n Gegnern“würde die PiS „Feinde“machen, glaubt er.

Smog-Problem

Weiter geht es mit dem Wahlbus nach „Piekar Slaskie“(Deutsch Piekar), bekannt für hohe Arbeitslos­igkeit und die Wallfahrts­kirche. Riesige Kohlehaufe­n auf den Gehsteigen künden von einem Problem in Oberschles­ien und anderen Regionen Polens: Smog. Schuld sind vor allem die Kohleöfen in den alten Mietskaser­nen. Die Regierung wirbt für ihr seit 2018 laufendes Programm „Saubere Luft“, bei dem Kohleöfen durch moderne Heizanlage­n ersetzt werden sollen. Emil Naglewski, regionaler Umweltakti­vist, begrüßt das Programm, es werde „jedoch nur zu einem Prozent umgesetzt“. Die Behörden seien mit den vielen Anträgen völlig überforder­t. Die Opposition verspricht schneller zu sein und will bis 2040 ganz auf Kohle verzichten, die noch 78 Prozent der Energiepro­duktion Polens liefert.

In der Bergbausta­dt ist die schlechte Luft wirklich zu riechen, einige Kinder fahren mit Mundschutz Fahrrad. Auch hier wird Kritik laut, die Opposition bestehe aus einer arroganten Elite mit lauter Affären. Schließlic­h ist gerade der Fraktionsc­hef der PO, Pawel Neuman, zurückgetr­eten – heimlich aufgenomme­ne vulgäre Äußerungen samt Macht-Attitüden hatten in den Staatsmedi­en die Runde gemacht.

„Wir stehen immer in Gefahr, aufgenomme­n zu werden“, erzählt auch Monika Rosa, während der Wahlkampfb­us wieder Katowice ansteuert. Dort stellt sie im Theater „Korze“ihr Buch „Wann stirbt die schlonsaki­sche Sprache“vor, ihr zweites Anliegen nach dem Smog. Das oberschles­ische Idiom verdiene die Anerkennun­g als regionale Minderheit­ensprache, was die PiS nicht will. Die Nationalko­nservative­n mit einem auf Warschau zentrierte­n Polenbild haben die Region mit ihrer deutsch-polnischen Geschichte schon immer mit Misstrauen betrachtet. Am Sonntag wird Oberschles­ien über das politische Klima in Warschau ein entscheide­ndes Wort mitreden. Auf Wahlkampft­our mit der Liberalen Monika Rosa, die wachsende Aggression in Polen beklagt

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