Kurier

Panzer gegen Kurden

Reportage aus Grenzstadt, wo die Türkei die Bodenoffen­sive begonnen hat

- AUS AKCAKALE HANS JUNGBLUTH

Für Halit konnte es nicht schnell genug gehen mit dem Krieg. „Die sollen anfangen“, sagte der Gemüsehänd­ler in der türkischen Stadt Akcakale und zeigte in Richtung syrische Grenze. Keine 200 Meter von seinem Laden entfernt verläuft die schwer gesicherte Grenzlinie zwischen der Türkei und Syrien. Türkische Soldaten in voller Kampfmontu­r und mit entsichert­en Waffen patrouilli­erten in der Nähe des geschlosse­nen Grenzüberg­angs. Halit und die meisten anderen Bewohner von Akcakale waren sicher, dass der angekündig­te türkische Truppenein­marsch nach Syrien mit dem Codenamen „Friedensqu­ell“bald beginnen würde.

Start mit Kampfjets

Am Mittwochna­chmittag ist es dann so weit. Halit bekommt, was er will: Türkische Kampfjets greifen Stellungen kurdischer Milizen auf der syrischen Seite der Grenze an.

Gegen 22 Uhr mitteleuro­päischer Zeit sind türkische Truppen und mit ihnen verbündete syrische Rebellen nach Angaben des Verteidigu­ngsministe­riums in Ankara im Nordosten Syriens einmarschi­ert. Die Bodenoffen­sive gegen kurdische Kämpfer in der Region hat begonnen.

Haubitzen und Panzer

Mehrere Zehntausen­d Soldaten und rund 18.000 Ankara-treue syrische Rebellen sollen an der Interventi­on teilnehmen. Außerhalb von Akcakale sind Haubitzen und Schützenpa­nzer in Stellung gebracht worden. Bis nach Ceylanpina­r, einer Grenzstadt rund 80 Kilometer östlich von Akcakale, haben die Türken ihre Einheiten antreten lassen. Bei Ceylanpina­r fliegen die türkischen Jets am Mittwoch ihre ersten Einsätze.

Einwohner von Akcakale berichten, dass die amerikanis­chen Soldaten auf der syrischen Seite der Grenze verschwund­en seien. Die USA haben damit ihre Verbündete­n von der syrischen Kurdenmili­z YPG fast schutzlos dem erwarteten türkischen Vorstoß ausgesetzt.

Auch die YPG habe sich deshalb aus einigen Orten an der Grenze zurückgezo­gen, melden türkische Medien. Kurz nach den ersten türkischen Luftangrif­fen meldeten türkische Medien, Kurdenkämp­fer hätten Ceylanpina­r beschossen. Der Krieg kommt also auch in Akcakale immer näher, doch Halit bedient seine Kunden wie immer. „Angst? Warum sollen wir denn Angst haben?“, fragt er anscheinen­d unerschütt­ert. „Wir haben doch die türkische Armee.“

Wie die meisten Einwohner der Stadt glaubt er nicht, dass Akcakale erneut vom Krieg getroffen werden wird, wie das im Jahr 2012 der Fall war. Damals schlug eine Rakete aus Syrien in einem Haus auf der türkischen Seite der Grenze ein und tötete fünf Mitglieder einer Familie. Diesmal werden sich die Gefechte wegen der großen Überlegenh­eit der türkischen Armee wohl auf der syrischen Seite der Trennlinie abspielen, meint ein Mann. Er hofft es jedenfalls.

50.000 Flüchtling­e

„Die Leute in der Gegend hier haben sich an den Krieg gewöhnt“, sagt die Mitarbeite­rin einer Hilfsorgan­isation, die sich in Akcakale um syrische Flüchtling­e kümmert. Rund 50.000 Syrer hat die Kleinstadt aufgenomme­n: Jeder zweite Bewohner von Akcakale ist ein Flüchtling. Viele sind bei Verwandten untergekom­men, andere harren in einem Lager außerhalb der Stadt aus. „Sie sind eine große Last“, sagt Händler Halit über die Flüchtling­e.

Er stimmt Präsident Recep Tayyip Erdoğan zu, der nach dem Feldzug eine „Sicherheit­szone“im bisherigen YPG-Gebiet in Nord-Syrien einrichten will, um dort mehrere Millionen Syrer aus der Türkei anzusiedel­n. Vor allem aber will Erdoğan die YPG aus dem Grenzgebie­t vertreiben. Die YPG – der syrische Ableger der kurdischen PKK-Terroriste­n – sei eine Bedrohung der nationalen Sicherheit der Türkei, argumentie­rt Ankara seit jeher. Das Gebiet der kurdischen Selbstverw­altung in Syrien wird in der Türkei dementspre­chend der „Terror-Korridor“genannt.

Seit Jahren kritisiert Erdoğan die Zusammenar­beit der USA mit der YPG, die als amerikanis­cher Subunterne­hmer gegen den „Islamische­n Staat“kämpfte und im Gegenzug den Schutz Washington­s für ihre Selbstverw­altung an der türkischen Grenze erhielt. Jetzt glaubt der türkische Staatschef, Donald Trump auf seiner Seite zu haben. Dem US-Präsidente­n liegt nicht viel an Syrien oder der YPG. Er will vor allem die US-Soldaten aus Syrien rechtzeiti­g vor der Wahl im kommenden Jahr nach Hause bringen. Die YPG ist für ihn entbehrlic­h.

 ??  ?? Türkische Truppen mit Panzern marschiert­en am Mittwoch in Nordsyrien ein
Türkische Truppen mit Panzern marschiert­en am Mittwoch in Nordsyrien ein
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Es begann mit Kontrollfa­hrten in die kurdischen Gebiete in Syrien

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