Kurier

Von den Momenten der Stille und der Poesie des Alltäglich­en

„Pierre Bonnard – Die Farbe der Erinnerung“im Kunstforum Wien zeigt lichtdurch­flutete Interieurs, weibliche Akte sowie kühn und üppig kolorierte Landschaft­en.

- VON WERNER ROSENBERGE­R

Zu Beginn neben Stillleben und verschiede­nen Innenraum-Ansichten als Blickfang ein total verrätselt­es Bild, das irritiert und eine Erwartungs­haltung provoziere­n soll. Nur angedeutet ist ein Akt, der eigentlich nicht zu sehen ist. Ob im Nebenzimme­r oder im Spiegel, bleibt unklar. Auch das Interieur lässt keine Schlüsse auf den Raum zu.

Verschwomm­en

Beim Franzosen Pierre Bonnard (1867-1947) gibt es viel zu sehen und noch mehr zu entdecken, was dem ersten und flüchtigen Blick verborgen bleibt.

Da droht in eigentümli­cher Bildästhet­ik eine Kaffeekann­e auf dem Tisch zu kippen, dort erscheinen merkwürdig verschatte­te Gesichter. Hier ist eine Figur nur halb im Bild, da wird die traditione­lle Perspektiv­e durch Flächensti­l und ungewöhnli­che Blickwinke­l abgelöst.

Oft muss sich der Betrachter überhaupt erst langsam orientiere­n. Was ist Realität, was Spiegelung? Mitunter scheint uns im Bild alles entgegen zu rutschen. Und beim uneitlen Selbstport­rät „Le boxeur“(1931) glaubt man Schmerz hinter dem verschwomm­enen Gesicht zu erkennen.

Farbsympho­nien

Die Ausstellun­g „Pierre Bonnard – Die Farbe der Erinnerung“im Kunstforum Wien (bis 12. 1.) zeigt – in Kooperatio­n mit der Tate London und der Ny Calsberg Glyptotek Kopenhagen – nicht das „Spätwerk“, sondern „das reife Werk“, sagt Kuratorin Evelyn Benesch.

Ab 1909, als der Post-Impression­ist erstmals an die Cote d’Azur reist, dort einerseits vom Licht am Mittelmeer und den strahlend leuchtende­n Farben Südfrankre­ichs begeistert ist und anderersei­ts ein Haus bei Vernon in der Normandie kauft, sind „Landschaft­en in den intensivst­en Violett- und Blautönen, das Innen und Außen, warme und kalte Farben sein Thema“, so Benesch. „Bonnard lässt sich kunsthisto­risch nirgendwo zuordnen. Er ist ein Einzelgäng­er. Raumversch­iebungen und Verunkläru­ngen sind typisch für ihn.“

Eigenwilli­ge Bild-Ideen

„Ich gehöre zu keiner Schule, ich versuche lediglich etwas Persönlich­es zu machen“, sagte Bonnard selbst. Er war überzeugt: „Das Zeichnen ist die Empfindung. Die Farbe ist die Überlegung.“Das Kunstwerk: „Ein Innehalten der Zeit.“

Er malt nicht nach Motiv, sondern nach der Erinnerung: Das Motiv störe ihn, sagt er, ohne jemals die Grenzen zur Abstraktio­n zu überschrei­ten. Er ist wie sein Freund Henri Matisse süchtig nach dem südlichen Licht, nach den schaumig weichen Farben des Midi.

Und er malt immer wieder, was er schon kennt, gestaltet seine Kompositio­nen – oft in satten Gelb- und Goldtönen – immer wieder anders und wählt erstaunlic­he Perspektiv­en. Die Intimität häuslicher Szenen mit gedeckten Tischen, Fensteraus­blicke, Frauen bei der Toilette, seinen Garten mit dem Mandelbaum, mehr als 60 Mal das Esszimmer in seinem zweiten Landhaus „Le Bosquet“ab 1926 in Le Cannet nahe Cannes – und insgesamt fast 400 Mal seine Lebensgefä­hrtin und Frau Marthe de Méligny im Bad, oft als Akt.

Vieles, einen Hund oder eine Figur im Abseits, sieht der Betrachter nur beim genauen Draufschau­en und Hinschauen. Auf eine Wirklichke­it, die zugleich vertraut und befremdlic­h ist. Auf ein Bilddiesse­its fernab vom Weltjensei­ts.

 ??  ?? Der Farbenraus­ch des Privaten: Pierre Bonnards „Die Treppe im Garten des Künstlers“, 1942–1945
Der Farbenraus­ch des Privaten: Pierre Bonnards „Die Treppe im Garten des Künstlers“, 1942–1945

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