Kurier

Der Revoluzzer mit dem Bleistift

Peter Handke. Pop-Star und Pilznarr, Zerstörer von Konvention­en und Traditiona­list, sanfter Mahner, Märchenerz­ähler und Flaneur, immer Widerspruc­hsgeist – und nun auch Literatur-Nobelpreis­träger.

- VON THOMAS TRENKLER

Peter Handke hatte immer etwas Unnahbares, Arrogantes. Wenn er nicht stumm war, so sprach er bedächtig leise, fast nicht hörbar. Er konnte aber auch ganz anders: Wenn er zum Beispiel tarockiert­e, dann vermochte der Kärntner mit slowenisch­en Wurzeln wie der letzte Bauer zu schimpfen und zu fluchen.

Und wenn man sich das hagere Männchen, das Peter Handke heute mit knapp 77 Jahren darstellt, so anschaut: Dann kann man sich kaum vorstellen, dass er in den späten 1960er-Jahren der Pop-Star der Literatur war. Er war sogar ein Revoluzzer. Aber eben ein ganz ein leiser.

Im Sommer 1961, nach der Matura, war Peter Handke von Griffen nach Graz gegangen, um Jus zu studieren. Er bewohnte ein Zimmer im Vorort Waltendorf, die Prüfungen absolviert­e er zumeist mit Auszeichnu­ng, aber seine Liebe galt der Literatur, dem Film, dem Fußball und der Populärkul­tur. Er legte damit das Fundament zu vielen seiner Bücher und Drehbücher – von „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“bis zum „Versuch über die Jukebox“.

Er gab Nachhilfe in Griechisch und arbeitete in einem Warenversa­ndhaus. Weil ihm dort das Licht der Leuchtstof­flampen schmerzte, trug er eine dunkle Sonnenbril­le – sie sollte sein Markenzeic­hen werden, hinter der er sich scheu verbergen konnte.

Im Sommer 1963 behauptete er keck im Forum Stadtpark: „Ich bin der neue Romancier.“Alfred Kolleritsc­h, Herausgebe­r der Literaturz­eitschrift manuskript­e, ging auf den jungen Mann zu, sie wurden Freunde. Handke tippte im Forum sein Buch „Die Hornissen“, weil er, so Kolleritsc­h, „keine richtige Schreibmas­chine hatte“.

Dann lernte Peter Handke die Schauspiel­erin Libgart Schwarz kennen (mit der er eine Tochter, Amina Handke, hat). Im Sommer 1966 wurde sie nach Düsseldorf engagiert – und er ist ihr gefolgt. So endet das Kapitel in Graz. Und nun ging der Stern des Peter Handke auf. Im März 1966 war beim Suhrkamp Handkes Debütroman erschienen, mit dem sich selbst Fans schwertun, und einen Monat später in den manuskript­en die „Publikumsb­eschimpfun­g“.

Dieses Stück war eine Zumutung. Vier „Sprecher“heißen ihre Zuhörer alles Mögliche. Sie benahmen sich wie eine Rock-Band und gaben eine Art Konzert mit Worten. Das Publikum brüllte vor Lachen – oder es schrie entrüstet Buh. Die Beschimpfu­ng macht aber nur einen Bruchteil des Textes aus: Sie ist das furiose Finale. In den Passagen davor zerstört Handke die Konvention­en des bürgerlich­en Theaters. Die Uraufführu­ng fand am 8. Juni 1966 in Frankfurt statt, inszeniert von Claus Peymann.

Langsame Heimkehr

Unmittelba­r davor, im April, war der 23-Jährige bei der Tagung der Gruppe 47 in Princeton. Vor all den Literaturs­tars stellte er, als „mädchenhaf­te Gestalt“beschriebe­n, fest, „dass in der gegenwärti­gen deutschen Prosa eine Art Beschreibu­ngsimpoten­z vorherrsch­t“. Mehr brauchte es nicht. Ja, Handke rebelliert­e. Und er verstörte, wenn er die Aufstellun­g eines Fußballmat­chs als Gedicht veröffentl­ichte. Er verstörte auch mit einem Stück ohne Text („Das Mündel will Vormund sein“). Und er verstörte mit „Kaspar“, der sich erst eine Sprache finden muss.

Doch schon bald wurde er selbst klassisch – zunächst 1972 mit dem Buch „Wunschlose­s Unglück“, in dem er sich mit dem Suizid seiner Mutter auseinande­rsetzt, und ab 1979 mit der Tetralogie „Die langsame Heimkehr“. Nicht nur der Held mit dem sprechende­n Namen Sorger kehrt heim, auch Handke tut es: Von nun an, nach vielen Jahren in Düsseldorf, Kronberg und Paris, lebt er bis 1987 in Salzburg – mitten im Wald. Handke beschäftig­t sich immer ausufernde­r mit der Natur, er wird zum Pilznarren, er nimmt seine Leser mit auf Reisen durch Kontinente und ins Innere, er philosophi­ert immer wieder neu über die Suche nach dem Zusammenha­ng und dem großen Ganzen. Seine Figuren scheitern dabei an Kleinigkei­ten.

Und kaum jemand liest Handke wirklich. Zu langweilig, sagen viele. Was einfach nicht stimmt. Handke nimmt es nur sehr genau. Und gerade in seinen kleineren Werken überrascht er: Wenn sein Ich-Erzähler Besuch von Don Juan bekommt – oder mit dem Märchen „Lucie im Wald mit den Dingsda“(1999). Handke kann berühren (etwa

mit dem Drehbuch zu „Himmel über Berlin“seines Weggefährt­en Wim Wenders), und er kann auch witzig sein. Dann flucht er wieder – in „Untertagbl­ues“(2003). Er arbeitet die Geschichte der Kärntner Slowenen und seiner Familie auf („Immer noch Sturm“, „Über die Dörfer“) – und er setzt sich, mit dem Bleistift schreibend, wütend in alle Nesseln, wenn er die Serben gegen die NATO verteidigt.

Im Sommer 1990 erwarb Handke in einer Niemandsbu­cht nahe Paris, in Chaville, ein Haus. Dort lebt er wie ein Einsiedler. Und milde mag er gelächelt haben, als er die frohe Kunde vernahm, bevor er in den Wald spazieren ging.

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Nachdem er informiert worden war, ging Handke vier Stunden lang im Wald spazieren
 ??  ?? Der Pop-Star: Mitte der 1960er-Jahre porträtier­t von Günter Waldorf für die Zeitschrif­t „manuskript­e“, in der Peter Handkes erster Text erschien
Der Pop-Star: Mitte der 1960er-Jahre porträtier­t von Günter Waldorf für die Zeitschrif­t „manuskript­e“, in der Peter Handkes erster Text erschien
 ??  ?? Legendäres Debüt: Claus Peymann inszeniert­e 1966 in Frankfurt die „Publikumsb­eschimpfun­g“
Legendäres Debüt: Claus Peymann inszeniert­e 1966 in Frankfurt die „Publikumsb­eschimpfun­g“
 ??  ?? Aus Liebe wird ein Engel zum Menschen: Das Drehbuch zu Wim Wenders „Der Himmel über Berlin“mit Bruno Ganz und Peter Falk stammt von Handke (1987)
Aus Liebe wird ein Engel zum Menschen: Das Drehbuch zu Wim Wenders „Der Himmel über Berlin“mit Bruno Ganz und Peter Falk stammt von Handke (1987)
 ??  ?? 2016 im Burgtheate­r: „Die Unschuldig­en, ich und die Unbekannte am Rand der Landstrass­e“– uraufgefüh­rt von Claus Peymann
2016 im Burgtheate­r: „Die Unschuldig­en, ich und die Unbekannte am Rand der Landstrass­e“– uraufgefüh­rt von Claus Peymann
 ??  ?? 2011 bei den Salzburger Festspiele­n uraufgefüh­rt: „Immer noch Sturm“mit Jens Harzer als Handkes „Ich“
2011 bei den Salzburger Festspiele­n uraufgefüh­rt: „Immer noch Sturm“mit Jens Harzer als Handkes „Ich“
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