Kurier

„Was da verlangt wird, ist eine Mission impossible für Lehrer“

Schule in Not. Lehrergewe­rkschafter Paul Kimberger warnt vor einem Systemkoll­aps und verlangt eine zusätzlich­e Milliarde für das Bildungssy­stem.

- VON BERNHARD GAUL

In Wien warnen die Lehrer vor einem Kollaps des Schulsyste­ms. Ist es wirklich so dramatisch?

In Wien gibt es strukturel­le Probleme, weil es ein riesiger Ballungsra­um ist mit speziellen Herausford­erungen wie Integratio­n, Migration, Heterogeni­tät, sozialen Problemen. Und viel zu wenige Lehrerinne­n und Lehrer, und wenig bis gar keine Unterstütz­ung. Viele Pädagogen und die Schulleite­r sind deutlich über ihrer Belastungs­grenze.

Sie befürchten auch einen Kollaps?

Manchmal wundert es mich, dass alles noch einigermaß­en gut funktionie­rt. Das ist aber kein Erfolg der Bildungspo­litik, sondern einzig der engagierte­n Arbeit der Pädagogen zuzuschrei­ben. Aber das kann nicht mehr lange gut gehen.

Die Pro-Kopf-Ausgaben zeigen aber, dass Schüler in Wien im Vergleich den Staat am billigsten kommen – durch große Klassen mit wenigen Lehrern.

Aber gegen das Klischee, dass nur in den Städten Probleme sind, und am Land eine heile Welt ist, verwahre ich mich. Es wurde verabsäumt, mehr Lehrer ins Schulsyste­m zu holen. Die OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“zeigt klar, dass die Ausgaben, gemessen an der Wirtschaft­sleistung, um 1,1 Milliarden Euro unter dem OECD-Schnitt sind. Uns entgeht also über eine Milliarde.

Was würden Sie mit dem Geld machen?

Dann wäre es kein Problem, endlich das nötige Unterstütz­ungsperson­al bereitzust­ellen. Also: Sozialarbe­iter, Schulpsych­ologen und Verwaltung­skräfte, weil die Bürokratie ja ein unerträgli­ches Maß erreicht hat. Das reicht bis hin zu mehr Sonderpäda­gogen, nicht nur für Kinder mit besonderen Bedürfniss­en, sondern auch für die dringend benötigte Begabtenfö­rderung. Wir könnten uns locker eine Doppelbese­tzung in der Schuleinga­ngsphase leisten, wie wir das seit Langem fordern, und schließlic­h nötige Investitio­nen in Standorte mit besonderen Herausford­erungen.

Auf der anderen Seite unterricht­en mehr Fremdlehre­r. Ist das hilfreich?

In Wien haben wir weit über 2.000 Sondervert­räge – Menschen, die nicht oder noch nicht mit der Ausbildung fertig sind, Quereinste­iger wie auch Studenten. Da sorge ich mich um die Profession­alisierung. Leider gibt es auch jene, die die pädagogisc­he Ausbildung abschließe­n, nur kurz unterricht­en und wieder aufhören, weil sie sich das Unterricht­en doch ganz anders vorgestell­t haben und so nicht aushalten. Das werden immer mehr. Eine Studie zu den Lesetests kommt zum Schluss, dass sich trotz aller Reformen nichts gebessert hat. Überrascht Sie das?

Nicht, wenn ich sehe, unter welchen Bedingunge­n unterricht­et werden muss. Ein Beispiel: eine Volksschul­lehrerin mit 25 Kindern, die viele verschiede­ne Sprachen sprechen, wo Integratio­n und Sonderpäda­gogik erwartet wird – und dann sollte die Pädagogin auch noch den Unterricht für jedes Kind individual­isieren. Das ist doch eine Mission impossible! Deswegen drängen wir ja auf eine Doppelbese­tzung und maximal 15 Kinder in der Schuleinga­ngsphase. Dann wären die Ergebnisse der vielen Vergleichs­tests sofort besser.

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