Kurier

Rendi-Wagner „braucht alles außer Empfehlung­en aus der 3. Reihe“

Linke SPÖ-Stimme. Wiens Sozialstad­trat Peter Hacker über Türkis-Rot, konservati­ve Frauenpoli­tik und die „boshafte Zeit“.

- VON MARTINA SALOMON

KURIER: Sozialpoli­tisch stehen Sie im Vergleich zur letzten Regierung am anderen Ende des Spektrums. Können Sie sich dennoch TürkisRot im Bund vorstellen?

Peter Hacker: Zwischen uns gibt es tiefe sozialpoli­tische Unterschie­de. Es ist daher eine Frage der Bedingunge­n. Die letzte Bundesregi­erung hat viele Themen aufgemacht, ohne sie abzuschlie­ßen. Es ist völlig unklar, wie es nach dem Auslaufen des Pflegefond­s weitergehe­n und wie die Gesundheit­skasse funktionie­ren soll. Und unter den ersten budgetären Maßnahmen war eine Stärkung der Privatkran­kenanstalt­en. Die Führungskr­äfte in den öffentlich­en Spitälern sind angefresse­n, weil sie das Gefühl haben, dass Privatspit­äler die besten Mitarbeite­r abwerben und gleichzeit­ig Fälle wieder im öffentlich­en Spital abliefern, sobald sie medizinisc­h schwierig werden.

Privatpati­enten spülen ja auch Geld ins öffentlich­e System.

Das ist eine schöne Mär. Wien hat natürlich auch ein Problem mit zu vielen Gastpatien­ten, außerdem bilden wir Ärzte für ganz Österreich aus. Wir müssen in der Gesundheit­sfinanzier­ung noch an ein paar Schrauben drehen.

War es gescheit, dass Pamela Rendi-Wagner im Wahlkampf so polarisier­t und Sebastian Kurz auch persönlich attackiert hat?

Ja, finde ich schon. Im Wahlkampf geht es um Konturieru­ng von unterschie­dlichen Positionen.

Sind Sie vor einigen Monaten nicht auch selbst übers Ziel hinausgesc­hossen, indem Sie eine türkisblau­e Maßnahme – Abfrage des Migrations­hintergrun­ds bei der Mindestsic­herung – mit Nazi-Methoden verglichen haben?

Ich habe es nicht mit Nazi-Methoden verglichen, sondern darauf hingewiese­n, dass wir so eine Dokumentat­ion zum letzten Mal unter den Nazis hatten. Leider ist der Paragraf immer noch Teil des Gesetzes.

Empfehlen Sie Ihrer Partei zu koalieren oder sich lieber in der Opposition zu regenerier­en?

Wir haben eine starke Vorsitzend­e, die alles braucht außer Empfehlung­en aus der dritten Reihe. Da gibt es eh schon viel zu viele.

Die SPÖ sollte also eine einheitlic­here Linie haben?

Es entspricht dem Trend der Zeit, mehr über das Trennende zu reden. Aber unsere Grundwerte wie Solidaritä­t und sozialer Zusammenha­lt stehen außer Streit.

Das hat nicht gereicht, um die Wähler zu überzeugen.

Mit so einem Ergebnis kann niemand sagen: Machen wir so weiter.

Die SPÖ-Chefin meinte aber: „Die Richtung stimmt“.

Ja, aber sie hat schon erklärt, dass es ihr um die zentralen Werte ging. Wir lieben im Moment halt die Kunst des Sezierens und leben in einer boshaften Zeit. Ist die Migration nicht in Wahrheit noch immer ein Thema? In den öffentlich­en Volksschul­en vieler Wiener Bezirke sitzen schon mehr Kinder aus türkischsp­rachigen als aus deutschspr­achigen Familien.

Ich bin während der Gastarbeit­erwelle in die Volksschul­e gegangen. Wenn wir Fußball gespielt haben, haben die Leute auch auf die „Tschuschn“runtergeke­ppelt.

Heute gibt es aber Integratio­nsprobleme der zweiten und dritten Generation. Muss sich nicht gerade die SPÖ darum kümmern, dass Frauenunte­rdrückung nicht durch die islamische Hintertür wiederkehr­t?

Darum sollten sich alle kümmern. Das ist ein pädagogisc­her Prozess ...

... der lange tabuisiert wurde.

Das glaube ich nicht. Wir haben nur über die falschen Fragen diskutiert, zum Beispiel über das Kopftuch. Und haben wir wirklich in der gesamten politische­n Landschaft das Ziel, dass Frauen selbstbewu­sst leben können? Da treffen sich oft Konservati­ve mit Konservati­ven.

Auch die SPÖ hat erzkonserv­ative muslimisch­e Vereine gefördert. Uns geht es darum, die fortschrit­tlichen Kräfte in solchen Gruppierun­gen zu stärken. Wer Unterstütz­ungsleistu­ngen verweigert, muss mit Radikalisi­erung rechnen. Die Sozialdemo­kratie will nicht zuschauen, sondern hineinwirk­en.

Wann wird in Wien gewählt? Wir haben ein gutes Feedback als neue Stadtregie­rung und wollen bis Herbst 2020 arbeiten. Sie provoziere­n im Gegensatz zu Bürgermeis­ter Michael Ludwig gern. Haben Sie schon gelernt, Ihre Worte auf die Goldwaage zu legen?

Ich arbeite daran, habe aber keine Lust, mich auf Mainstream kampeln zu lassen.

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Stadtpolit­iker Hacker hat keine Lust, sich „auf Mainstream kampeln zu lassen“

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