Kurier

Überraschu­ng mit Debütroman

Deutscher Buchpreis. Die Wienerin Raphaela Edelbauer ist im Finale, heute wird die Entscheidu­ng verkündet.

- Frankfurt. Die Wienerin Raphaela Edelbauer (29) ist im Finale des Deutschen Buchpreise­s. Entschiede­n wird heute.

Von der Wienerin Raphaela Edelbauer war zu hören: Es gehe ihr nicht um ein Buch fürs heurige Herbstprog­ramm des Stuttgarte­r Klett Cotta Verlags. Sondern?

Für die nächsten 100 Jahre habe sie „Das flüssige Land“geschriebe­n.

Mutig ist ihre Feststellu­ng. Recht hat sie. Wenn schon, denn schon. Allerdings: Zweifellos ist Hans Leberts nicht unähnliche­r Roman „Die Wolfshaut“(1960) ein österreich­ischer Jahrhunder­troman.

Aber heute nur antiquaris­ch erhältlich; und Lebert, 1993 in Baden bei Wien gestorben, ist vergessen. Hochgelobt wurde er und dann, zur Sicherheit, vergessen.

Sein steirische­r Ort, der für ganz Österreich steht, heißt „Schweigen“. Es regnet, es modert, die Vergangenh­eit, die nationalso­zialistisc­he Vergangenh­eit steigt hoch und stinkt gewaltig.

Auch Raphaela Edelbauers Ort ist in der Steiermark. Schwer zu finden. Irgendwo sitzt ein Maskenhänd­ler, alle brauchen Masken, und stochert im Krautsalat. Dort ist Groß-Einland.

Einbetonie­rt

Ruths Eltern sind bei einem Unfall ums Leben gekommen, deren Wunsch war es, in Groß-Einland, wo sie aufgewachs­en sind, beerdigt zu werden.

Ruth ist Physikerin. Sie will es schnell regeln und zurück in die Stadt. Sie wird Jahre in Groß-Einland bleiben ... wo die Leute schon immer alles Unangenehm­e ins Bergwerk unter dem Ort geworfen haben.

Zu den Zwangsarbe­itern, die zu Kriegsende unten einbetonie­rt wurden, vielleicht noch lebend.

Jetzt kommt alles hoch. Die Vergangenh­eit kommt hoch. Die Erde verdaut nicht alles. Jedenfalls keine Kriegsverb­rechen. Manchmal meldet sich eine Leiche: Hallo, ich bin noch da!

Die Straßen brechen auf, die Pflasterst­eine am Hauptplatz hat es herausgeho­ben, man muss zur Kirche klettern. Macht kaum jemand.

Das Loch verschling­t schmatzend Groß-Einland.

Und oberhalb, da steht ein Schloss wie von Kafka, eine falsche Gräfin übt Macht aus, ihr gehört der gesamte Ort, sie hat alle(s) gekauft samt Leichen in Keller und Garten.

Die Gräfin ist zwar ansprechba­r, aber redet nicht übers Wesentlich­e. Das Loch hält sie für eine Unpässlich­keit. Ruth wird von ihr sofort vereinnahm­t, um Füllmateri­al soll sie sich kümmern.

Anderersei­ts sollen Touristen geholt werden, und im Loch soll eine Schwebebah­n entstehen. Die Blasmusik wird deshalb auf 400 Mann aufgestock­t.

So verrückt kann es im Roman/in Groß-Einland gar nicht zugehen, dass man nicht an österreich­ische Verhältnis­se erinnert wird.

Raphaela Edelbauer zieht einen nicht so tief hinein wie seinerzeit Hans Lebert. Soll heißen: Man versinkt nicht mit, sondern beobachtet alles vom Wald aus. Man wird selbst nicht schmutzig und kann sich über Literatur freuen, aus der ein Weg zwischen Vergangenh­eit und Gegenwart gebaut ist. Er ist sehr kurz.

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 ??  ?? Raphaela Edelbauer: „Das flüssige Land“Klett-Cotta. 350 Seiten. 22,70 Euro.
Raphaela Edelbauer: „Das flüssige Land“Klett-Cotta. 350 Seiten. 22,70 Euro.
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