Kurier

Signal für den Bund: Kommen Kurz und Kogler jetzt in die Gänge?

Regierungs­bildung. Mit einer Handvoll Leuchtturm­projekten und viel Pragmatism­us hüpft Vorarlberg vor, wie es im Bund gehen könnte

- VON DANIELA KITTNER UND RAFFAELA LINDORFER

Man stelle sich vor, die Vorarlberg­er Landtagswa­hl wäre so ausgegange­n, wie es Umfragen im Vorfeld prophezeit hatten: drei Prozentpun­kte minus für die Grünen, drei Prozentpun­kte plus für die Roten. Die Analysen hätten einhellig gelautet: Die Grünen haben die Rechnung für ihre Juniorpart­nerrolle neben einer übermächti­gen ÖVP bezahlt, wenn sie sogar an die ramponiert­en Roten verlieren. Also: Hände weg von Türkis-Grün im Bund!

Es kam aber genau anders: ÖVP und Grüne haben zugelegt, und zwar fast im selben Ausmaß.

ÖVP und Grüne haben in Vorarlberg in den vergangene­n fünf Jahren erstmals das Experiment einer gemeinsame­n Regierung gewagt, und beide sind in ihrem Kurs bestätigt worden. Dieses Signal aus Vorarlberg ist für die Regierungs­bildung auf Bundeseben­e wichtig. Denn hier stehen ÖVP und Grüne vor derselben Entscheidu­ng wie im Ländle 2014: Sollen sie miteinande­r eine Regierung wagen? Vor allem bei den Grünen herrscht große Unsicherhe­it, ob Sebastian Kurz der richtige Partner ist.

Schock noch frisch

Die Grünen haben bei der Nationalra­tswahl am 29. September zwar sensatione­lle 13,9 Prozent erreicht – aber der Schock von 2017, als sie aus dem Parlament geflogen sind, ist noch frisch in Erinnerung. Die Grünen haben bitter erfahren, wie volatil die Wähler sind.

„In die Hosen machen brauchen wir uns nicht“, meinte der Vorarlberg­er Grünen-Chef Johannes Rauch kürzlich im KURIER-Interview. Die Ländle-Wahl gibt ihm recht: Die Sorge, von einer überdimens­ionalen ÖVP aufgesaugt zu werden, ist nun gedämpft. Das spricht dafür, das Wagnis im Bund einzugehen.

Die Grünen treibt noch eine zweite Angst um, die Rauch mit dem „in die Hosen machen“angesproch­en hat: Wenn die Grünen bei der Regierungs­bildung im Bund zu früh vom Verhandlun­gstisch aufstehen, könnte man ihnen nachsagen, sie hätten eine Neuauflage von Türkis-Blau verschulde­t. Ihr Gang in die Opposition wäre ein gebückter.

Im Umfeld der Sondierung­sgespräche mit Sebastian Kurz verhalten sich die Grünen jedenfalls ruhig – sehr ruhig. Das einzige Aufbegehre­n spüren derzeit Medien, die den linken Wiener Flügel als solchen beschreibe­n. Die Grünen wollen nicht als Blockierer dastehen, am Ende nicht schuld am Scheitern sein.

In Hintergrun­dgespräche­n trachten derzeit selbst prononcier­te Linksgrüne, sich konsensual und offen für eine Kooperatio­n mit der ÖVP zu geben. An Sebastian Kurz werden plötzlich positive Seiten entdeckt: Er sei ja gar nicht so wie als türkisblau­er Kanzler. „Da war er eine FPÖ-Kopie, weil das gerade angesagt war“, meint eine Wiener Grüne zum KURIER. „Früher, als Staatssekr­etär für Integratio­n, zu Beginn seiner Karriere, war er nie so extrem.“Diesen Kurz, den wünschen sich viele Grüne jetzt zurück.

Grün-intern hält man eine Koalition auf Bundeseben­e – allen offensicht­lichen Differenze­n zum Trotz – für machbar. Voraussetz­ung: Man folgt dem Vorarlberg­er Beispiel. ÖVP und Grüne haben dort eine Handvoll Leuchtturm­projekte ausgehande­lt, der Rest wurde pragmatisc­h im Kompromiss gelöst.

Eines werden die Grünen ganz sicher nicht sein, betont der Vorarlberg­er Rauch: ein klimapolit­isches Feigenblat­t der Türkisen. Auch im Sozialbere­ich müsse sich etwas bewegen, „sonst fährt der Wagen gleich gegen die Wand“.

Kein Grund zur Flucht

Für die ÖVP zeigt das Vorarlberg­er Ergebnis: Sie konnte vom krassen FPÖ-Verlust nicht in dem Ausmaß profitiere­n, wie es mit einem „ordentlich­en Mitte-RechtsKurs“(Kurz) möglich gewesen wäre. Aber ein Wahlergebn­is von 44 Prozent ist kein Anlass, vor SchwarzGrü­n zurückzusc­hrecken.

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