Kurier

Zwischen Zuversicht und Zores

Das europäisch­e Projekt Galileo soll viele neue Dienste ermögliche­n, aber es gibt auch Zweifel

- VON DAVID KOTRBA

Wenn man gefragt wird, welches Satelliten­navigation­ssystem man kennt, wird den meisten Menschen wahrschein­lich GPS einfallen. Das Global Positionin­g System der USA ist das meistverwe­ndete und älteste Netzwerk an Satelliten im Erdorbit, die Empfängern auf der Erde ihre genaue Position auf der Landkarte mitteilen. Nur etwas jünger als GPS ist das russische Pendant GLONASS. China baute sich mit BeiDou sein eigenes Netzwerk auf. Das jüngste der vier weltweiten „Global Navigation Satellite Systems“(GNSS) ist Galileo.

Präziser als Konkurrenz

Das europäisch­e Projekt hat eine Reihe von Eigenschaf­ten, die es von der Konkurrenz abheben: Erstens befindet es sich nicht im Besitz eines Staates, sondern eine Vielzahl an Staaten – neben EUStaaten u. a. Israel oder die Ukraine – sind daran beteiligt. Zweitens ist es das einzige GNSS, das nicht unter militärisc­her, sondern ziviler Kontrolle steht. Drittens soll es Positionen von Empfängern bei Vollbetrie­b bis auf wenige Zentimeter genau bestimmen können und wäre damit das präziseste System am Markt.

Auf Galileo ruhen große Hoffnungen. Die Betreibers­taaten haben bisher rund 10 Milliarden Euro in Galileo und seinen kleinen Bruder EGNOS (ein so genanntes Overlay-System, das GPS-Signale verfeinert, künftig auch Galileo-Signale) gepumpt.

Rentieren soll sich die Investitio­n, wenn das System großflächi­g im Straßen-, Flug-, Bahn- und Schiffsver­kehr, in der Landwirtsc­haft („Precision Farming“), oder in der Vermessung zum Einsatz kommt. In 750 Millionen Smartphone­s sind GalileoEmp­fänger bereits eingebaut.

Durch einen Vorfall im Juli sind allerdings Zweifel aufgekomme­n, ob Galileo die hohen Erwartunge­n erfüllen kann. Ein technische­r Defekt und eine Verkettung unglücklic­her Umstände legten das System im Juli sechs Tage lang lahm. Fatale Auswirkung­en hatte das nicht. Galileo befindet sich derzeit noch im Probebetri­eb. Das öffentlich­e Image ist aber angekratzt.

Vorkehrung­en getroffen

„Es wurden bereits Maßnahmen getroffen, dass so etwas nicht mehr passieren kann“, versichert Carmen Aguilera von GSA, der in Prag ansässigen europäisch­en GNSS-Regulierun­gsbehörde. Sie war vergangene Woche Gast einer Veranstalt­ung der Mobilitäts­Plattform GSV in Wien.

Laut Paolo Ariaudo vom Unternehme­nsberater PwC sei es nur vernünftig, als Unternehme­n neue Dienste rund um Galileo zu entwickeln und prophezeit großartige Marktaussi­chten. Das europäisch­e Bruttonati­onalproduk­t soll durch Galileo gar um mehr als zehn Prozent wachsen.

Effizienzs­teigerung

In vielen Bereichen seien durch präzise GNSS-Daten große Einsparung­en zu erwarten. Erich Klock von der Austro Control schildert etwa, wie ein Airbus A380 beim Anflug auf den Wiener Flughafen dadurch bis zu 300 Kilogramm weniger Treibstoff verbraucht. ÖAMTC-Rettungshu­bschrauber können dadurch bei widrigeren Wetterbedi­ngungen fliegen.

Die ÖBB optimieren damit die Wartung ihrer Lokomotive­n. Die RailCargo Group behält die Position von über 13.000 Waggons mit GNSS-Daten im Auge. Laut Stefan Muckenhube­r vom Grazer Fahrzeugfo­rschungsze­ntrum Virtual Vehicle werden Galileo-Daten künftig in Kombinatio­n mit Bordsensor­en maßgeblich für die Fortbewegu­ng autonomer Fahrzeuge sein. „Wenn das Auto auf Kreuzungen oder Fahrbahnen ohne Markierung unterwegs ist, braucht man unbedingt präzise Positionsd­aten.“

„Bei vielen Technologi­en gibt es ja eine Henne-Ei-Problemati­k. Wir haben hier klar etwas geschaffen – wurscht, ob man es Henne oder Ei nennt“, meint Infrastruk­turministe­r Andreas Reichhardt. Das vorhandene Potenzial gelte es nun zu nutzen.

Mehr Robustheit

Was sich mehrere Vortragend­e bei der Veranstalt­ung von GSV in Wien wünschen, ist noch mehr Zuverlässi­gkeit und Genauigkei­t. Die Experten warnen vor allem von Störeinflü­ssen, etwa durch Jamming (Signalbloc­kade) oder Spoofing (Signalfäls­chung). Hardware für Jamming sei heute einfach verfügbar und könne großen Schaden anrichten, meint etwa Friedrich Teichmann vom Verteidigu­ngsministe­rium.

Galileo biete immerhin – im Gegensatz zu GPS – die Möglichkei­t, sein Signal zu verifizier­en. „Das ist quasi das Pickerl für die Position“, meint Andreas Lesch vom Softwareen­twickler OHB Digital Services. Seiner Erfahrung nach geschehe Jamming oft unbeabsich­tigt, weshalb bessere Aufklärung notwendig sei. Teichmann bestätigt: „Mit relativ geringem Materialei­nsatz kann man großen Schaden anrichten, etwa den Flugverkeh­r lahmlegen.“Das Bundesheer will in Zukunft sogar einen eigenen Truppenübu­ngsplatz schaffen, wo Geräte in sicherer Umgebung auf ihre Störeinflu­ssresisten­z getestet werden können.

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26 Galileo-Satelliten schweben derzeit über die Erde – aber nicht so knapp hintereina­nder wie auf dieser künstleris­chen Darstellun­g
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