Schafft den Nobelpreis ab!
Um den Nobelpreis zu gewinnen, braucht man vor allem einen guten Arzt. Das Alter, in dem man typischerweise für Nobelpreise in Frage kommt, muss man nämlich erst mal erreichen. Bei den drei naturwissenschaftlichen Kategorien (Medizin, Physik und Chemie) lag der Altersdurchschnitt diesmal bei 72 Jahren. Der Chemienobelpreisträger John Goodenough ist mit 97 Jahren der älteste Laureat, den es je gab.
Alfred Nobel selbst würde das nicht gefallen: Er stiftete den Preis für jene Personen, die „im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht haben“. Eigentlich sollte der Preis also gleich nach einer großen Entdeckung vergeben werden, nicht Jahrzehnte später. Dass sich das Nobelpreiskomitee nicht daran hält, ist aber verständlich: Die Wissenschaft wird immer komplexer. Unzählige Sub-Disziplinen greifen heute auf unvorhersehbare Weise ineinander. Niemand kann sagen, ob eine neue Entdeckung die Wissenschaft revolutionieren wird oder ob es sich bloß um eine schicke Idee handelt, die bald wieder vergessen ist. Das lässt sich erst im Nachhinein beurteilen – wenn überhaupt.
Klar ist, dass sich in den letzten Jahrzehnten der Wissenschaftsbetrieb deutlich verändert hat. Als man im Jahr 1911 die einflussreichsten Köpfe der Physik zur berühmten ersten Solvay-Konferenz einlud, um endlich zu klären, was man denn nun mit diesen seltsamen neuentdeckten Quanten anfangen soll, da passte die gesamte Weltelite der Physik gemeinsam auf ein Erinnerungsfoto.
Forschung ist kompliziert
Heute gibt es wissenschaftliche Tagungen, bei denen sich tausende Leute durch gigantische Konferenzhallen drängen. Die Forschung ist so vielschichtig geworden, dass niemand von ihnen mehr einen Überblick über die eigene Forschungsdisziplin hat. Jeder kennt seine eigene kleine Nische und ein paar Anknüpfungspunkte zur Nachbarnische – mehr ist gar nicht möglich. Das Zeitalter der großen Genies ist vorbei. Das macht nichts, denn durch intensive Zusammenarbeit der richtigen Leute gelingen trotzdem gewaltige Erfolge. Nur – wer von ihnen soll dann den Nobelpreis bekommen?
An wissenschaftlichen Großprojekten, etwa der Suche nach unbekannten Teilchen, kosmischen Objekten oder neuartigen Heilungsmethoden, sind heute oft hunderte oder tausende Menschen beteiligt. Diese Entwicklung konnte Alfred Nobel noch nicht vorhersehen. Aus diesen unüberblickbaren Scharen maximal drei Personen für den Nobelpreis auszuwählen ist eine Verzerrung der wissenschaftlichen Realität. Heute wird Wissenschaft oft betrieben wie der Bau eines Ameisenhaufens, wo jede Ameise ihren Teil beiträgt, ohne dass es eine geniale Chef-Ameise geben muss, die den Überblick bewahrt.
Daher wäre es wohl klüger, den einzelpersonenbezogenen Nobelpreis abzuschaffen. Vielleicht könnte man stattdessen jedes Jahr einen Forschungserfolg des Jahres küren – und dann eine richtig große Party schmeißen, bei der all die tausenden Leute eingeladen sind, die daran beteiligt waren. Das würde – bei allem berechtigten Respekt vor den Nobel-Laureaten – die heutige Forschungspraxis besser widerspiegeln als goldene Medaillen für maximal drei Auserwählte.
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Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich mit spannenden Themen der Naturwissenschaft und auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich als Wissenschaft tarnen.