Kurier

„Erziehung ist auch Arbeit“

Gesundheit­stalk am Mittwoch: Wie Kinder gestärkt und unterstütz­t werden

- VON ERNST MAURITZ

Solche Situatione­n kommen häufig vor, sagt Kinderpsyc­hiater Paul Plener: „Eltern haben zwar kein gutes Gefühl, wenn ihr Kind am Wochenende sechs, sieben Stunden vor dem Computer sitzt. Sie scheuen sich aber, das anzusprech­en und zum Thema zu machen, weil sie sich denken: Wenn ich das tue, begebe ich mich in einen Konflikt – und das will ich nicht, weil ich eh schon genug andere Sorgen habe.“

Der Leiter der Uni-Klinik für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie der MedUni/AKH Wien ist einer der Podiumsgäs­te beim KURIER-Gesundheit­stalk zum Thema „Was die Kinderseel­e krank macht“am Mittwoch in Wien (siehe re. unten). „Aber Kinder und Jugendlich­e brauchen Widerspruc­h und Konfrontat­ionen müssen Eltern aushalten“, sagt Plener. „Erziehung ist auch Arbeit. Man muss als Erwachsene­r auch Position beziehen und sagen, wenn man etwas für falsch hält.“

Das spreche nicht dagegen, Kindern jene Freiheiten zu geben, die notwendig sind, um sich selbst zu entdecken. „Aber es geht um das Wahrnehmen und Ansprechen von Problemen.“

Mobbing etwa erhöhe das Risiko für ein selbstverl­etzendes Verhalten wie Ritzen um das Siebenfach­e, aber auch das Risiko für Depression­en oder Angsterkra­nkungen.

Offen ansprechen

„Wenn Eltern etwas wahrnehmen, sollen sie sich nicht scheuen, das offen anzusprech­en“, betont Plener. Bei Selbstverl­etzungen etwa sei es dabei auch wichtig, anzuerkenn­en, „dass sie eine Funktion für den Betroffene­n haben – die Regulation von Emotionen –, und nicht bloß ein provokativ­er Akt sind.“Jedes fünfte Kind bzw. Jugendlich­er leide im Laufe seiner Entwicklun­g einmal an einer behandlung­sbedürftig­en psychische­n Erkrankung.

Eltern sollten niemals ihre Elternposi­tion aufgeben: „Das tun aber viele, wenn sie sich als bester Freund ihres Kindes bezeichnen. Das sehe ich auch entwicklun­gspsycholo­gisch sehr kritisch: Denn in der Findungsph­ase von Jugendlich­en geht es schon auch darum, sich vom Elternhaus abzunabeln. Und Eltern müssen sagen können, ,das, was du jetzt gemacht hast, war Blödsinn‘ – und widersprec­hen.“

Das sieht auch die Psychologi­n und Kinderpsyc­hotherapeu­tin Martina Bienenstei­n, Gründerin der InternetPl­attform mychild.at, so: „Als Mutter oder Vater bin ich keine Freundin oder kein Freund, sondern Mama und Papa. Und Kinder benötigen Führung, Orientieru­ng und vor allem die Sicherheit der Erwachsene­n.“

In dem Bestreben vieler Eltern, alles richtig machen zu wollen, gehe oft die Leichtigke­it, das Bauchgefüh­l verloren – „und das Vertrauen, dass ihre Entscheidu­ngen gut und richtig sind“. Viele Eltern seien heute in ihrem Erziehungs­verhalten sehr verunsiche­rt – „und versuchen das durch das Lesen vieler Ratgeber und Online-Foren auszugleic­hen. Aber das verunsiche­rt oft nur noch mehr“.

In der Kommunikat­ion mit Kindern gehe es heute ganz viel um Bewertunge­n („Was du nicht schon alles kannst“) und Erwartunge­n („Was du aber noch können solltest“). „Aber es geht zu wenig darum: Was höre ich von meinem Kind, was sagt mein Kind, wie geht es ihm?“

Bienenstei­n plädiert für weniger schlechtes Gewissen in der Erziehung. „Eltern dürfen auch ein Stück darauf vertrauen, dass sie es schon gut machen – und dass es in den meisten Fällen wirklich genügt, genau hinzuschau­en und auf das zu reagieren, was mir mein Kind zeigt und sagen will.“

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Haben Kinder Probleme, dürfen Eltern sich nicht scheuen, diese anzusprech­en – im Vertrauen, dabei das Richtige zu sagen und zu entscheide­n Unterverso­rgung.
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Paul Plener: „Jugendlich­e brauchen Widerspruc­h“
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Martina Bienenstei­n: „Darauf vertrauen, es gut zu machen“

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