Kurier

Murakami macht’s auch (und nicht so viel besser)

Der Urspung der Welt. Träumerei ohne Spuk

- PETER PISA

In naher Zukunft, um 2030, wenn Demokratie­n zerfallen und Bücher und Gemälde keinen Stellenwer­t mehr haben, wenn wieder diese „Sicherheit“herrscht und man jederzeit verhaftet werden kann (nicht „man“, sondern eh nur die, die im Widerstand sind) ... zu einer Zeit, in der Stumpfsinn noch größer geworden ist, lebt Paul Goullet, trotz seines Namens ein Stuttgarte­r.

Er ist vom alten Schlag wie Ulrich Tukur, der Schauspiel­er, der gern Lieder aus den 1920ern, 1930ern singt. Schriftste­ller ist Tukur auch.

Seine Novelle „Die Spieluhr“(2013) war noch manieriert. Derartiges unterlässt Tukur in seinem ersten Roman. „Der Ursprung der Welt“ist eine Träumerei mit Musik von Charles Trenet, auch Maurice Chevalier singt. Alles folgt einem ausgetüfte­lten Plan, unangenehm zu merken ist das nicht.

Beschwörun­g

Paul Goullet fährt nach Paris, weil er dort noch nie war, er blättert bei einem Altwarenta­ndler in Fotos – und sieht sich selbst auf einer 100 Jahre alten Fotografie.

Danach sucht er den Doppelgäng­er. Und den Großvater, der, wie sich spät herausstel­lt, Chef der Gestapo in Toulouse war. Und sich selbst sucht er. Die Menschen, mit denen er zusammen kommt, schauen ihn an, als würden sie ihn kennen.

Die Geheimnist­uerei, die Tukur veranstalt­et, könnte als feig bezeichnet werden: Soll schreiben, was zu schreiben ist! Nicht andeuten. Nicht die Leser, wie man sagt, blöd sterben lassen.

Naja. Der Murakami macht’s auch und gar nicht viel besser und ist immer für den Nobelpreis im Gespräch.

100 Jahre – das ist nichts. Da kann man in wenigen Schritten ins Vergangene hinübergeh­en (wie es, siehe links, auch in Raphaela Edelbauers Roman geschieht).

Das Jetzt hat Risse, mit Paul Goullet lernt man dessen längst tote Vorfahren kennen; und wie ein französisc­her Arzt 1943 Fluchthilf­e verspricht, dann aber Juden ausraubt ermordet, das erleben wir mit. (Den gab es tatsächlic­h, Marcel Petiot hieß er.)

Für Ulrich Tukur sind Träume kein Spuk. Sie sind Poesie, und weil die Poesie überall zerstört wird, versucht er eine Beschwörun­g.

Verspielte Zauberwort­e verwendet er nicht. Dafür muss man ihm dankbar sein. Er sagt es mit Fantasie, es würde jedoch einfacher gehen, diese Aussage zu treffen:

Jeder von uns ist auch ein anderer.

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Ulrich Tukur, 62, mag übrigens Quallen lieber als Männer
 ??  ?? Ulrich Tukur: „Der Ursprung der Welt“S. Fischer Verlag. 304 Seiten. 22,70 Euro.
KURIER-Wertung:
Ulrich Tukur: „Der Ursprung der Welt“S. Fischer Verlag. 304 Seiten. 22,70 Euro. KURIER-Wertung:

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