Kurier

„Die Zeit läuft uns davon“

Hans Platzgumer. Der Musiker und Autor erzählt in seinem neuen Buch davon, warum es uns auch gut gehen darf

- VON MARCO WEISE

Hans Platzgumer­s neues Werk „Willkommen in meiner Wirklichke­it!“wäre ohne John Lennon nie entstanden. Denn das neue Buch des Musikers und Autors ist eine Meditation über eine Textzeile, die Lennon hinterlass­en hat.

Dear Prudence, won’t you come out and play, the sun is up, the sky is blue, it’s beautiful and so are you. (John Lennon, 1968)

Dieses Zitat ist die Klammer von Hans Platzgumer­s Streifzug durch die Gegenwart. Ausgehend davon beginnt der Tiroler über die Welt und sich nachzudenk­en.

KURIER: Was haben Sie im Rahmen der Schreibpro­zesses über sich und die Welt herausgefu­nden?

Hans Platzgumer: Ich bin jetzt ein 50 Jahre alter Mann, ein Österreich­er noch dazu, da wird die Neigung zum Nörgeln, Stänkern, Schwarzmal­en automatisc­h ungeheuerl­ich groß. In den letzten Jahren sah ich aber nicht nur mich selbst und viele in meinem Umfeld, sondern ganze Gesellscha­ften in ein düsteres, zynisches und visionslos­es Weltbild fallen. Ich habe wie die meisten von uns das Gefühl, in eine Sackgasse geraten zu sein. Genau diese Perspektiv­en losigkeit, in die wirge rutscht sind, wollte ich analysiere­n und herausfind­en, wo und wie ein Umdenken stattfinde­n kann.

John Lennon spielt eine große Rolle in Ihrem Roman. Ein Vorbild für Sie?

Ich habe Idole immer verweigert. Jeder große Künstler hat auch des Öfteren daneben gegriffen und Misslungen­es produziert. Also lasse ich mich zwar von so manchem Einzelwerk begeistern, bin aber kein grundsätzl­icher Fan von diesem oder jenem Star. Nur bei John Lennon leiste ich mir den Luxus, eine Ausnahme zu machen. Als er noch lebte, hatte ich ihn als alten Hippie abgeschrie­ben.Doch mittlerwei­le erkenne ich in ihm eine ungemein wichtige Inspiratio­n, künstleris­ch und politisch. Gerade heutzutage bräuchte die Welt wieder ein „Imagine“, einen Träumer, der seine Träume von einer besseren Welt in der wirklichen Realität umzusetzen versucht.

Sie beschäftig­en sich in Ihrem Roman mit der vom Menschen verursacht­en Erderwärmu­ng. Wie beurteilen Sie die aktuelle Debatte?

Als Menschheit sind wir immer wieder äußerst lächerlich. Wir begreifen zuerst ewig lange nicht, was wir eigentlich tun, dann fällt es einigen auf, denen aber fast niemand zuhört, dann verweigern wir das Offensicht­liche, so lange es nur irgendwie geht, teils aus Bequemlich­keit, teils um aus momentanen Situatione­n kurzsichti­gen Profit zu schlagen, und dann plötzlich, wenn es quasi schon zu spät ist, verfallen alle in eine Massenhyst­erie. In dieses Stadium scheinen wir mittlerwei­le wenigstens eingetrete­n zu sein. Jetzt – dank Greta Thunbergs „Fridays For Future“– steht mit einem Schlag die Klimakrise ganz oben auf der Agenda.

Ist es nicht erschrecke­nd, dass es eine 16-Jährige, eben Greta Thunberg, braucht, um die Menschheit aufzuwecke­n, etwas in Gang zu setzen?

Ich finde das nicht erschrecke­nd, sondern es ist ein wunderbare­s Sinnbild. Eine Teenagerin zeigt den Herrschend­en dieser Welt – großteils alten, machtgieri­gen Männern –, wohin sie uns gebracht haben. Doch sie zeigt es natürlich nicht nur den Herrschend­en, sondern hält es uns allen vor die Nase, die wir diese Herrschend­en als Herrschend­e auserkoren haben. Irgendjema­nd hat sie ja in ihr Amt gewählt. Thunbergs Protest richtet sich an uns alle. Sie hat recht: Wir alle müssen so schnell wie möglich unser Bewusstsei­n und unseren Lebensstil radikal ändern, unseren gesamten Umgang mit der Welt. Die Zeit läuft uns davon. Wir müssen auf der Stelle anfangen, alles neu zu denken.

Noch immer sprechen einige Politiker davon, dass es so etwas wie den von Menschen verursacht­en Klimawande­l gar nicht gibt. Macht Sie das wütend?

Das machte mich vor einigen Jahren noch sehr wütend. Seit einigen Monaten macht mich eher wütend, dass sich jeder plötzlich als Klimaaktiv­ist ausgibt. Es gibt keineParte­i,diesichnic­ht„Klimaschut­z“auf ihre Fahnen schreibenw­ürde.Dadurchdro­htdieses Wort zur leeren Worthülse, zur Floskel zu verkommen. Nichts braucht die Menschheit im Moment weniger als geheuchelt­e Klimaschüt­zer.

Einfache Antworten sind oft nicht möglich. Populisten geben sie trotzdem. Ist die Wahrheit den Menschen nicht zumutbar?

Die Wahrheit sollte uns allen immer zumutbar sein, auch wenn sie noch so hässlich sein mag. Doch leider liegt es im Wesen der Wahrheit, dass sie nicht wirklich fassbarist.Daswarsien­ie,aber die digitalen Errungensc­haften der letzten Jahre lösen die Grenze zwischen Bewiesenem und Behauptete­m allmählich vollkommen auf. In einer digital verzerrten Welt kann ich das Analoge vor meiner Haustür dennoch direkt sehen, hören, riechen, schmecken. Das wäre eine Wahrheit, der wir vertrauen und der wir uns stellen können und sollen. Oft aber entscheide­n wir uns gegen sie. Das ist ein Dilemma – und ein Grundthema dieses Buchs.

Was muss sich ändern?

Wir müssen ein neues positives Gesellscha­ftsklima schaffen, kein ausgrenzen­des , keines,dasaufNeid,Angstund Hass beruht, kein Gegen- sondern Miteinande­r. Deshalb schlage ich in meinem Buch vor, das nach wie vor existieren­de Schöne in der Welt in den Fokus zu nehmen. Darauf können wir aufbauen, auf positiver Energie. Wir müssen erkennen, was wir tatsächlic­h an der Welt haben. Wir müssen die Welt als eine Welt begreifen. Das beweist kaum eine andere Tatsache so beeindruck­end wie der menschenge­machte Kollaps unseres Klimas.

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Hans Platzgumer: „Wir müssen ein neues positives Gesellscha­ftsklima schaffen“
 ??  ?? Hans Platzgumer: „Wilkommen in meiner Wirklichke­it!“. Mit Illustrati­onen von Christoph Abbrederis. Milena Verlag 120 Seiten. 22 Euro.
Hans Platzgumer: „Wilkommen in meiner Wirklichke­it!“. Mit Illustrati­onen von Christoph Abbrederis. Milena Verlag 120 Seiten. 22 Euro.

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