EU-Staaten setzen auf Justiz im Irak
IS-Kämpfer sollen im Nachbarland angeklagt werden – doch der EU läuft in der Region die Zeit davon
Während in Nordsyrien an immer mehr Orten Kämpfe zwischen syrischen Verbündeten der Türkei und der syrischen Armee eskalieren, droht die Lage rund um die dortigen Kriegsgefangenenlager zu eskalieren – in Gefängnissen und Lagern auf kurdischem Gebiet sitzen bis zu 10.000 Ex-IS-Kämpfer und deren Familien ein. Viele davon (laut Ankara rund 1000) stammen aus Europa – vor allem aus Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Belgien.
Manche dieser Lager wurden in den vergangenen Tagen von der türkischen Luftwaffe bombardiert, es gibt Aufstände und Ausbrüche. Vor allem im Lager Al Haul spitze sich die Lage zu, sagt der in der Region bestens vernetzte Politologe Thomas Schmidinger. Bemerkenswert sind zudem gezielte Angriffe der türkischen Luftwaffe. So wurde das Lager Ain Issa angegriffen, während zugleich ein Aufstand ausbrach. Viele gefangene IS-Kämpfer entkamen: Laut kurdischen Angaben sage und schreibe 785. Das wirke wie eine „akkordierte Aktion“, so Schmidinger.
Notfallplan
Während sich die EU-Staaten auf so gut wie keine Reaktion auf den türkischen Einmarsch in Nordsyrien einigen konnten, sind es die Insassen in genau diesen Lagern, die diese jetzt alarmieren. Bisher haben sich EU-Staaten bis auf wenige Ausnahmen geweigert, Staatsbürger zurückzunehmen, die beim IS kämpften. Jetzt will die EU den bereits bestehenden Plan forcieren, IS-Kämpfer im Irak anzuklagen. Ähnliches war bereits verhandelt worden – ohne nennenswerte Fortschritte.
Und zahlreiche Beobachter wie Schmidinger halten diesen Plan prinzipiell zum Scheitern verurteilt. Denn schon jetzt sei die irakische Justiz mit der Flut an IS-Verfahren aus dem eigenen Krieg mit der Terrorgruppe heillos überfordert – abgesehen von Bedenken, was Menschenrechte und Sicherheit angehe. Hinzu komme, dass eine reguläre Überführung Gefangener aus Syrien derzeit schlicht unmöglich sei, wie Schmidinger sagt. Und außerdem: „Damit ist das Problem nur verschoben.“Die EU jedenfalls, so sagt Schmidinger, habe ihre Chance vertan, in der Sache reguläre Rechtsführung anzuwenden.
Bei den Gefangenen handelt es sich um Islamisten, die die kurdisch dominierten SDF im Zuge ihres Kampfes gegen die Terrorgruppe gefangen genommen haben. Die kurdische Selbstverwaltung in Syrien hat allerdings keine international anerkannte Rechtssprechung. Auslieferungen müssten über Damaskus abgewickelt werden.
Zumindest aber ein Beispiel einer Überführung von IS-Kämpfern an den Irak gibt es: 15 Franzosen waren im Jänner an den Irak übergeben worden – und umgehend zum Tod verurteilt worden.
Schmidinger führt vor allem die menschenrechtliche Lage im Irak ins Rennen. denn zum Tod verurteilt würden nicht nur Kämpfer, sondern auch Frauen und Nichtkombattanten. Sein Fazit daher: „Eine schlechte Idee.“
Um der EU gleich vorab einen Schuss vor den Bug zu verpassen und klar zu machen, worum es geht, hat Ankara bereits zu Beginn der Offensive angekündigt, man könne die IS-Kämpfer ja einfach nach Europa weiter schicken. Wie es ein türkischer Diplomat ausdrückt: Da bestehe ein gewisses Maß an Heuchelei bei den Europäern in der Sache – „sie wollen, dass die Kämpfer unter ihrer Jurisdiktion vor Gericht gestellt werden – aber in der Region.“