Kurier

EU-Staaten setzen auf Justiz im Irak

IS-Kämpfer sollen im Nachbarlan­d angeklagt werden – doch der EU läuft in der Region die Zeit davon

- VON STEFAN SCHOCHER

Während in Nordsyrien an immer mehr Orten Kämpfe zwischen syrischen Verbündete­n der Türkei und der syrischen Armee eskalieren, droht die Lage rund um die dortigen Kriegsgefa­ngenenlage­r zu eskalieren – in Gefängniss­en und Lagern auf kurdischem Gebiet sitzen bis zu 10.000 Ex-IS-Kämpfer und deren Familien ein. Viele davon (laut Ankara rund 1000) stammen aus Europa – vor allem aus Frankreich, Großbritan­nien, Deutschlan­d und Belgien.

Manche dieser Lager wurden in den vergangene­n Tagen von der türkischen Luftwaffe bombardier­t, es gibt Aufstände und Ausbrüche. Vor allem im Lager Al Haul spitze sich die Lage zu, sagt der in der Region bestens vernetzte Politologe Thomas Schmidinge­r. Bemerkensw­ert sind zudem gezielte Angriffe der türkischen Luftwaffe. So wurde das Lager Ain Issa angegriffe­n, während zugleich ein Aufstand ausbrach. Viele gefangene IS-Kämpfer entkamen: Laut kurdischen Angaben sage und schreibe 785. Das wirke wie eine „akkordiert­e Aktion“, so Schmidinge­r.

Notfallpla­n

Während sich die EU-Staaten auf so gut wie keine Reaktion auf den türkischen Einmarsch in Nordsyrien einigen konnten, sind es die Insassen in genau diesen Lagern, die diese jetzt alarmieren. Bisher haben sich EU-Staaten bis auf wenige Ausnahmen geweigert, Staatsbürg­er zurückzune­hmen, die beim IS kämpften. Jetzt will die EU den bereits bestehende­n Plan forcieren, IS-Kämpfer im Irak anzuklagen. Ähnliches war bereits verhandelt worden – ohne nennenswer­te Fortschrit­te.

Und zahlreiche Beobachter wie Schmidinge­r halten diesen Plan prinzipiel­l zum Scheitern verurteilt. Denn schon jetzt sei die irakische Justiz mit der Flut an IS-Verfahren aus dem eigenen Krieg mit der Terrorgrup­pe heillos überforder­t – abgesehen von Bedenken, was Menschenre­chte und Sicherheit angehe. Hinzu komme, dass eine reguläre Überführun­g Gefangener aus Syrien derzeit schlicht unmöglich sei, wie Schmidinge­r sagt. Und außerdem: „Damit ist das Problem nur verschoben.“Die EU jedenfalls, so sagt Schmidinge­r, habe ihre Chance vertan, in der Sache reguläre Rechtsführ­ung anzuwenden.

Bei den Gefangenen handelt es sich um Islamisten, die die kurdisch dominierte­n SDF im Zuge ihres Kampfes gegen die Terrorgrup­pe gefangen genommen haben. Die kurdische Selbstverw­altung in Syrien hat allerdings keine internatio­nal anerkannte Rechtsspre­chung. Auslieferu­ngen müssten über Damaskus abgewickel­t werden.

Zumindest aber ein Beispiel einer Überführun­g von IS-Kämpfern an den Irak gibt es: 15 Franzosen waren im Jänner an den Irak übergeben worden – und umgehend zum Tod verurteilt worden.

Schmidinge­r führt vor allem die menschenre­chtliche Lage im Irak ins Rennen. denn zum Tod verurteilt würden nicht nur Kämpfer, sondern auch Frauen und Nichtkomba­ttanten. Sein Fazit daher: „Eine schlechte Idee.“

Um der EU gleich vorab einen Schuss vor den Bug zu verpassen und klar zu machen, worum es geht, hat Ankara bereits zu Beginn der Offensive angekündig­t, man könne die IS-Kämpfer ja einfach nach Europa weiter schicken. Wie es ein türkischer Diplomat ausdrückt: Da bestehe ein gewisses Maß an Heuchelei bei den Europäern in der Sache – „sie wollen, dass die Kämpfer unter ihrer Jurisdikti­on vor Gericht gestellt werden – aber in der Region.“

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Inhaftiert­e IS-Kämpfer in Syrien – den EU-Staaten ist alles recht, nur keine Rückkehr nach Europa

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