Immer noch Sturm, von Stockholm bis Frankfurt
Streit um Handke. Die heftige Debatte um die Nobelpreis-Vergabe läutet nun auch die Buchmesse ein Kunst Stoff
Debatten werden dann folgenschwer, wenn Reflexe nicht mehr greifen. Seit Tagen redet eine breite Öffentlichkeit über Literatur und ihre Stellung in der Welt, und eigentlich möchte man gerne sagen können: Gut so.
Sie könnte auch stattdessen, ebenfalls eine Reflexdiskussion, über Computergames reden (siehe Seiten 20, 21), huch. Seien wir doch beruhigt, dass zumindest über Bücher und Autorenpersonen gestritten wird.
Aber in der Debatte um Peter Handkes Handschläge – verbal und in echt – mit Kriegsverbrechern ist kein Grund zu irgendwelcher Kulturmenschenselbstzufriedenheit zu finden. Sondern eher: Anlass zu neuen Fragen, die auch schwieriger sind als die, die gestellt werden.
Was tun mit dieser Kränkung, die so viele nun wegen Handke empfinden? Die kommt, frisch aufgeraut, zum Balkankriegstrauma hinzu, das schon durch die damalige Missachtung durch den Rest Europas vertieft worden war. Die Auszeichnung Handkes gilt vielen nun als goldumrandetes Dokument dafür, dass der Balkan und seine Menschen in den Augen vieler Europäer nichts wert seien.
Eindringlich vorgebracht hat diese Erschütterung der Buchpreis-Gewinner Saša Stanišić in seiner Dankesrede: Handke „sagt, dass es unmöglich ist, dass diese Verbrechen geschehen konnten. Sie sind aber geschehen. Mich erschüttert so was, dass so was prämiert wird.“
Mitten in diese Diskussion ist nun die Frankfurter Buchmesse hineingestartet, der Jahrmarkt der Autoreneitelkeiten, der zugleich kleinlauten und großmäuligen Verlagsprogramme. Dort gab es in den vergangenen Jahren ebenfalls heftige Diskussionen bis zum Eklat darüber, was mit rechten Verlagen zu tun ist, welche Stimmen das Spektrum dessen verlassen, womit man sich auseinandersetzen muss. Diese Diskussion wird dort heuer, in neuen Bahnen, wohl noch heftiger geführt werden.
Und mitten hinein in das alles ging ein anderer Preis an eine Autorin, die den Nobelpreis verdient hätte. Der Bookerpreis wurde – aufgeteilt – an die Britin Bernardine Evaristo und die Kanadierin Margaret Atwood vergeben.
Atwood ist über viele Jahre hinweg so etwas wie die gut gelaunte Mahnerin vor dem Untergang der offenen Gesellschaft geworden. In der nun ausgezeichneten Fortsetzung von „Report der Magd“, Die Zeuginnen, zeichnet sie ein Bild einer Welt, die keine Gegenstimmen zulässt, die Machtverhältnisse rückzementiert, die bereits aufgedröselt worden waren, und in der viel, viel Horror lauert.
Immer noch Sturm heißt ein Stück von Handke, und der literaturgeborene Diskussionssturm wird in all seinen Ausformungen so bald nicht abflauen. Wir werden nicht umhinkommen, uns einander zu stellen. Und zwar so, dass Gegensätze und Hass zumindest in den Debatten nicht dasselbe sind. Es steht, siehe Atwood, viel auf dem Spiel.