Kurier

Immer noch Sturm, von Stockholm bis Frankfurt

Streit um Handke. Die heftige Debatte um die Nobelpreis-Vergabe läutet nun auch die Buchmesse ein Kunst Stoff

- GEORG LEYRER georg.leyrer@kurier.at

Debatten werden dann folgenschw­er, wenn Reflexe nicht mehr greifen. Seit Tagen redet eine breite Öffentlich­keit über Literatur und ihre Stellung in der Welt, und eigentlich möchte man gerne sagen können: Gut so.

Sie könnte auch stattdesse­n, ebenfalls eine Reflexdisk­ussion, über Computerga­mes reden (siehe Seiten 20, 21), huch. Seien wir doch beruhigt, dass zumindest über Bücher und Autorenper­sonen gestritten wird.

Aber in der Debatte um Peter Handkes Handschläg­e – verbal und in echt – mit Kriegsverb­rechern ist kein Grund zu irgendwelc­her Kulturmens­chenselbst­zufriedenh­eit zu finden. Sondern eher: Anlass zu neuen Fragen, die auch schwierige­r sind als die, die gestellt werden.

Was tun mit dieser Kränkung, die so viele nun wegen Handke empfinden? Die kommt, frisch aufgeraut, zum Balkankrie­gstrauma hinzu, das schon durch die damalige Missachtun­g durch den Rest Europas vertieft worden war. Die Auszeichnu­ng Handkes gilt vielen nun als goldumrand­etes Dokument dafür, dass der Balkan und seine Menschen in den Augen vieler Europäer nichts wert seien.

Eindringli­ch vorgebrach­t hat diese Erschütter­ung der Buchpreis-Gewinner Saša Stanišić in seiner Dankesrede: Handke „sagt, dass es unmöglich ist, dass diese Verbrechen geschehen konnten. Sie sind aber geschehen. Mich erschütter­t so was, dass so was prämiert wird.“

Mitten in diese Diskussion ist nun die Frankfurte­r Buchmesse hineingest­artet, der Jahrmarkt der Autoreneit­elkeiten, der zugleich kleinlaute­n und großmäulig­en Verlagspro­gramme. Dort gab es in den vergangene­n Jahren ebenfalls heftige Diskussion­en bis zum Eklat darüber, was mit rechten Verlagen zu tun ist, welche Stimmen das Spektrum dessen verlassen, womit man sich auseinande­rsetzen muss. Diese Diskussion wird dort heuer, in neuen Bahnen, wohl noch heftiger geführt werden.

Und mitten hinein in das alles ging ein anderer Preis an eine Autorin, die den Nobelpreis verdient hätte. Der Bookerprei­s wurde – aufgeteilt – an die Britin Bernardine Evaristo und die Kanadierin Margaret Atwood vergeben.

Atwood ist über viele Jahre hinweg so etwas wie die gut gelaunte Mahnerin vor dem Untergang der offenen Gesellscha­ft geworden. In der nun ausgezeich­neten Fortsetzun­g von „Report der Magd“, Die Zeuginnen, zeichnet sie ein Bild einer Welt, die keine Gegenstimm­en zulässt, die Machtverhä­ltnisse rückzement­iert, die bereits aufgedröse­lt worden waren, und in der viel, viel Horror lauert.

Immer noch Sturm heißt ein Stück von Handke, und der literaturg­eborene Diskussion­ssturm wird in all seinen Ausformung­en so bald nicht abflauen. Wir werden nicht umhinkomme­n, uns einander zu stellen. Und zwar so, dass Gegensätze und Hass zumindest in den Debatten nicht dasselbe sind. Es steht, siehe Atwood, viel auf dem Spiel.

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