Die „Noblistka“und ihr Polen
Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk macht es den Nationalkonservativen schwer
Mit „Noblistka“wird die Schriftstellerin Olga Tokarczuk seit vergangener Woche in Polen tituliert – dort gibt es ein eigenes Wort für die Auszeichnung der Schwedischen Akademie.
Die mit dem Nobelpreis für Literatur 2018 Ausgezeichnete tourt auf Lesereise durch Deutschland, war am Dienstagabend bei der Frankfurter Buchmesse angesagt (siehe Seite 23) und wird demnächst nach Polen als Star heimkehren.
Dort war der Jubel groß – in den Buchläden stehen die Leute Schlange, in Breslau, der Stadt ihres Wirkens, durfte jeder mit einem Buch der Autorin am Wochenende kostenlos Straßenbahn fahren. Ihre ehemalige PolnischLehrerin meinte, bereits früh ihr Talent gesehen zu haben, und die schreibenden Kolleginnen und Kollegen gratulierten mittels Superlativen – ob ehrlich gemeint oder nicht.
Trend zum Fertiglesen
Deutlich schwerer tat und tut sich das nationalkonservative Regierungslager mit der 57-Jährigen, was nicht allein an ihren Rastazöpfen und den luftigen Hippie-Kleidern liegt. Noch kurz vor der Bekanntgabe erklärte Kulturminister Piotr Glinski, dass er keines ihrer Bücher zu Ende gelesen hätte. Später gestand er etwas muffig, dass er dies wohl nun nachholen müsste.
Die Themen Feminismus, sexuelle Minderheiten, Umweltschutz, Esoterik sind nicht ganz nach dem Geschmack der nationalkonservativen Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“(PiS). Zumal die Schriftstellerin, die im westpolnischen Städtchen Sulechow geboren wurde, vor den Wahlen am vergangenen Sonntag dazu aufgerufen hatte, sich zwischen „Demokratie und Autoritarismus“zu entscheiden. Die PiS gewann.
Den Wunsch, Autorin zu werden, trug die Tochter einer Lehrerin und eines Bibliothekars lange in sich, entschied sich jedoch zuerst für ein Psychologie-Studium und arbeitete eine Zeit lang als Therapeutin. Ihre Verbindung mit dem Schweizer Psychologen Carl G. Jung und seine Auseinandersetzung mit dem Unterbewussten spiegelt sich auch in ihrem Erzählwerk, das Romane, Erzählungen und Essays umfasst. Mit dem Roman „Ur und andere Zeiten“gelang ihr 2000 der Durchbruch auf dem deutschsprachigen Buchmarkt. Die Geschichte eines ostpolnischen Dörfchens im 20. Jahrhundert, das unter dem Schutz der Erzengel steht, kam mit seinem Mix aus Weltkriegs-Landeskunde, Übersinnlichem, Säufern und „Ewigmenschlichem“der Erwartungshaltung entgegen, den eine gewisse Leserschaft in Westeuropa an „Literatur aus Osteuropa“hat.
Der „Gesang der Fledermäuse“, eine Art esoterischer Krimi, bei dem sich Tiere an Jägern rächen, wurde erfolgreich von der polnischen Regisseurin Agnieszka Holland als „Die Spur“verfilmt.
Mit „Die Jakobsbücher“, das dieses Jahr auf Deutsch erschienen ist, zeichnet die Schriftstellerin das Leben der historischen Figur Jakob Frank nach, eine Art Messias des 18. Jahrhunderts.
Dabei zeigt sie ein kritisches Bild der polnischen Adelsrepublik mit sozialen Ungleichheiten und Verfolgungen – was gar nicht der Lesart der Nationalkonservativen entgegen kommt, die diese Zeit gerne glorifizieren.
„Kulturbarriere“
Für das regierungsnahe Magazin Zur Sache gehört die Autorin, die eine offenere Gesellschaft verlangt, zur „anderen Seite der Kulturbarriere“. Zumal sie derzeit in Deutschland als mutige Kritikerin des autoritären Polens gefeiert wird. Fest steht: In Polen, in der die PiS seit vier Jahren regiert, gehen öffentliche Gelder wie Filmförderung vor allem an Kulturprojekte, die eine patriotisch-traditionalistische Haltung haben oder dieser nicht widersprechen.
Doch genau Letzteres wird die frischgebackene „Noblistka“weiterhin deutlich tun. Diese Woche erklärte sie in dem Nachrichtenmagazin Wprost, dass das Schwarz-Weiß-Denken von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski zu einer „Kastration des Intellektuellen“in Polen führe.
Der Nobelpreis wird der Polin am 10. Dezember, dem Todestag von Alfred Nobel, überreicht, gemeinsam mit Peter Handke.