Kurier

„Josef, der Österreich­er“, hielt Kinder jahrelang im Keller fest

58-jähriger gebürtiger Wiener wartete mit sechs Jugendlich­en auf den Weltunterg­ang

- VON MICHAEL HAMMERL

Langes Haar, dreckiger Bart, verwirrter Blick: Ein seltsamer Besucher betrat am Dienstag das Wirtshaus des niederländ­ischen Dorfes Ruinerwold – und bestellte Bier. So weit, so normal. Doch als der Mann erzählte, dass er seit neun Jahren nicht das Tageslicht erblickt und in einem Keller gehaust hätte, verständig­te der Wirt die Polizei.

Beinahe zehn Jahre soll der 25-Jährige in einem Keller gelebt haben, gemeinsam mit fünf anderen Menschen – Jugendlich­en zwischen 18 bis 25 Jahren. Die Polizei entdeckte die Familie auf einem abgelegene­n Bauernhof, wie die Polizei am Dienstag in der östlich gelegenen Provinz Drenthe mitteilte. Die Menschen wurden medizinisc­h versorgt.

Eingefädel­t hat all das offenbar ein 58-jähriger, gebürtiger Wiener, genannt „Josef, der Österreich­er“. Das Außenminis­terium bestätigte am Dienstagab­end entspreche­nde Berichte niederländ­ischer Medien. Diese berichtete­n zunächst, dass er der Vater der Kinder gewesen sei – was danach wieder dementiert wurde. Der Mann soll mit den Kindern im Keller auf den Weltunterg­ang gewartet haben. Er soll jeden Tag mit einem Volvo gekommen sein. Medien berichten, dass die Polizei hinter einem Kasten im Wohnzimmer eine Stiege entdeckt hatte, die in den Keller führte. Dort hätten die Personen gehaust.

Unnahbarer Mensch

Die Bewohner der 2.800-Seelen-Dorfes Ruinerwold sind geschockt. Sie hätten keine Ahnung gehabt, dass Kinder auf dem Anwesen lebten. Der Mann sei ein unnahbarer Zeitgenoss­e gewesen, berichtete ein Anrainer: „Du musstest nur in die Nähe des Hofes kommen und er hat dich schon weggeschic­kt. Er hat alles mit einem Fernglas beobachtet.“Der Hof liegt versteckt hinter Bäumen und ist etwa 200 Meter vom Rande des Dorfes entfernt. Dazu gehören nach Aussagen von Reportern ein großer Gemüsegart­en und eine Ziege. Möglicherw­eise versorgte sich die Gruppe jahrelang selbst.

Die Gruppe „lebte in sehr provisoris­chen Räumen“, sagte der Bürgermeis­ter Roger de Groot. Er nannte keine Details der Wohnung. Die Besitzerin des Bauernhofe­s gab an, nur an eine Person vermietet zu haben. Die Miete sei immer pünktlich bezahlt worden. Mehr wusste sie nicht.

Offene Fragen

Über die genauen Lebensumst­ände und den Gesundheit­szustand der Familie wollte die Polizei vorerst keine Angaben machen. Die Untersuchu­ngen seien noch in vollem Gange. „Alle Szenarien sind noch offen“, sagte eine Sprecherin. Der 58-Jährige sei in erster Linie deshalb festgenomm­en worden, „weil er nicht an unserer Untersuchu­ng mitarbeite­te“.

Offen ist auch‚ wer die leiblichen Eltern der „Kinder“sind. Laut diversen Berichten ist der richtige Vater seit einem Infarkt vor einigen Jahren bettlägeri­g. Die Mutter der Kinder sei vor einigen Jahren gestorben, so der Bürgermeis­ter.

Der Fall in Ruinerwold weckt – obwohl gänzlich anders gelagert – entfernt Erinnerung­en an den Fall Josef Fritzl, der im Jahr 2008 aufgefloge­n war (siehe Bericht

unten). Der Amstettner hatte 24 Jahre lang seine Tochter in einen Keller gesperrt und mit ihr sieben Kinder gezeugt.

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Im Keller dieses abgelegene­n Bauernhofe­s lebten sechs junge Menschen abgeschott­et von der Außenwelt
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Der Bürgermeis­ter beschreibt provisoris­che Wohnverhäl­tnisse

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