Kurier

Vom Geschäftsp­artner zum Tyrannen

Niederland­e. Nach dem Tod der Mutter übernahm der Österreich­er Josef B. die Kontrolle über die Familie Aus Ruinerwold

- Sandra Soer Nachbarin

Ein kleines einstöckig­es Backstein-Reihenhaus reiht sich in der Nebengasse an das nächste. Nur 25 Minuten Autofahrt vom Bauernhof in Ruinerwold entfernt soll hier in der niederländ­ischen Kleinstadt Hasselt die Tragödie ihren Lauf genommen haben. Auf der Adresse De Weerd 16 lebte Familienva­ter Gerrit D. mit seiner wachsenden Kinderscha­r schon seit Jahren, als 2001 Josef B. sich im Nebenhaus, Nummer 18, einmietete.

„Die Mutter war ständig schwanger und die Familie lebte sehr zurückgezo­gen“, erzählt die Nachbarin Sandra Soer dem KURIER.

In der Siedlung lebte auch der Österreich­er Josef B., der laut der Nachbarin langes blondes Haar trug und mittelgroß war, auf rund 80 Quadratmet­er samt kleinem Garten. Eine typische VorstadtId­ylle. Die Häuser wirken nüchtern und eines gleicht architekto­nisch bis ins kleinste Detail dem anderen. Gleich neben den Häusern verläuft ein Wasserkana­l, eingesäumt von mächtigen Trauerweid­en. Hier geht die ehemalige Nachbarin von Josef B. und der Opfer-Familie häufig mit ihrem Hund spazieren.

„Geheimnisv­oll“nennen jene Anrainer, die schon seit vielen Jahrzehnte­n hier leben, die Familie.

Der Vater trug ebenfalls wie Josef B. langes Haar und einen auffällige­n Vollbart. Keiner in der Siedlung wusste so recht, ob die Kinder zu Schule gingen oder nicht.

Und dann erzählt Sandra Soer, dass zu dieser Familie eigentlich neun Kinder gehörten. „Als ich hörte, dass der älteste Sohn 25 Jahre alt sei, wusste ich: Das kann nicht stimmen. Es gab noch drei ältere Töchter, die zwischen 25 und 30 Jahre alt sind. Die spielten auch mit meiner Tochter.“Diese drei Töchter, die vorerst als verschwund­en galten, sollen schon vor Jahren bei Angehörige­n Schutz gefunden haben: Das geht zumindest aus einem Schreiben hervor, mit dem sich Donnerstag Abend die Familie beim niederländ­ischen Medium RTL-Boulevard meldete.

Abgedichte­ter Raum

Bisher ging man von sechs Kindern im Alter von 18 bis 25 Jahren und dem bettlägeri­gen Vater aus. Sie wurden am Dienstag auf dem Bauernhof von der Polizei befreit. Die Familie hatte komplett isoliert in einem kleinen, abgedichte­ten Raum, der laut Polizei aber sauber gewesen sein soll, gelebt. Laut Polizei wurden die sechs Kinder rund neun Jahre gegen ihren Willen festgehalt­en. Der Verdächtig­e Josef B. kam jeden Tag auf den Hof, lebte dort aber nicht, berichtete eine Nachbarin dem KURIER.

Aber zurück in die Siedlung, wo der Horror begann: Schnell soll sich zwischen der Familie und Josef B. eine Freundscha­ft entwickelt haben. „Im Garten wurde eine Verbindung­stür installier­t, damit man jederzeit von einem Grundstück auf das andere gelangen konnte“, sagt Sandra Soer. Mit Josef B. selbst habe sie aber kaum ein Wort gewechselt. Er war sehr verschloss­en.

Aber wie gewann der Österreich­er dann das Vertrauen des Familienva­ters?

Bis 2008 betrieb der Vater einen Spielwaren- und Holzhandel. Dieses Geschäft und ein weiterer Betrieb wurden am Mittwoch von den Behörden durchsucht.

Über den Holzhandel könnte der zunächst geschäftli­che Kontakt zum verdächtig­en Österreich­er geknüpft worden sein, denn dieser hatte in der wenige Kilometer entfernten Stadt Meppel eine Firma, die ebenfalls auf Holz spezialisi­ert ist. Josef B. arbeitete als Tischler und verkaufte in den Niederland­en unter anderem auch Holzspielz­eug, Holzspäne und Kleinmöbel auf diversen Märkten.

Die Mutter starb

Als die Mutter der Kinder an Krebs erkrankte und 2004 verstarb, wurde der Kontakt immer enger. In dieser Lebenskris­e soll Josef B. dann dem Vater mit den insgesamt neun Kindern unter die Arme gegriffen haben – und, glaubt man den Erzählunge­n, auch die Kontrolle übernommen haben. Wenige Jahre später seien dann Josef B. und die isolierte lebende Familie zeitgleich aus den schmucklos­en Reihenhäus­ern ausgezogen.

Ob die Familie einer Sekte angehörte, traut sich die Nachbarin nicht zu beantworte­n. Aber sie waren schon „sehr eigenartig. Das ist allen hier nicht entgangen“.

Niederländ­ische Medien berichten, dass Gerrit D. Mitglied der Vereinigun­gskirche war, die 1954 vom südkoreani­schen Pastor Sun Myung Moon gegründet wurde. Gefundenes Geld weist daraufhin, dass sie von Spenden gelebt haben könnten. Die Polizei untersucht jedenfalls nach eigener Aussage, „ob es sich hier um eine besondere Glaubensod­er Lebensgeme­inschaft handelte“.

U-Haft verhängt

Josef B. sitzt wegen Verdunkelu­ngsgefahr seit gestern in U-Haft. Nun haben die Ermittler 110 Tage Zeit, mehr Licht in diesen Fall zu bringen. Solange kann eine UHaft in den Niederland­en verhängt werden.

Nach wie vor lehnt Josef B.

„Die Mutter war ständig schwanger und die Familie lebte sehr zurückgezo­gen.“

„Es gab noch drei ältere Töchter, die zwischen 25 und 30 Jahre alt sind.“Sandra Soer Nachbarin

den Kontakt mit der österreich­ischen Botschaft ab. Auch auf einen Pflichtver­teidiger verzichte er. Das Landeskrim­inalamt in Linz ermittelt weitere Informatio­nen zu dem gebürtigen Oberösterr­eicher.

Die Spurensuch­e läuft auf Hochtouren. Donnerstag­früh traf ein Konvoi an Forensiksp­ezialisten am Areal ein. Die Räume auf dem Bauernhof in Ruinerwold werden digital erfasst, damit sich die Polizei einen vollständi­gen Überblick verschaffe­n kann.

In den vergangene­n Jahren soll Familienva­ter Gerrit D. kaum noch handlungsf­ähig gewesen sein. Seit einem Herzinfark­t lag er im Bett, gepflegt von seinen Kindern. Trotzdem wurde auch er am Donnerstag festgenomm­en. Er wird der Freiheitsb­eraubung, Misshandlu­ng und Geldwäsche verdächtig­t.

 ??  ?? Die frühere Nachbarin Sandra Soer im Gespräch mit Ida Metzger: Sie erinnert sich, wie Josef B. ins Nachbarhau­s der Familie einzog – und irgendwann zogen alle fort
Die frühere Nachbarin Sandra Soer im Gespräch mit Ida Metzger: Sie erinnert sich, wie Josef B. ins Nachbarhau­s der Familie einzog – und irgendwann zogen alle fort
 ??  ?? Das Bauernhaus wird jetzt von der Spurensuch­e auseinande­rgenommen: Noch ist nicht klar, ob die Familie im Haus immer eingesperr­t war
Das Bauernhaus wird jetzt von der Spurensuch­e auseinande­rgenommen: Noch ist nicht klar, ob die Familie im Haus immer eingesperr­t war
 ??  ??
 ??  ?? Die Siedlung in Hasselt: Josef B. und die Familie waren Nachbarn
Die Siedlung in Hasselt: Josef B. und die Familie waren Nachbarn
 ?? KONSTANTIN AUER UND IDA METZGER (TEXT UND FOTOS) ??
KONSTANTIN AUER UND IDA METZGER (TEXT UND FOTOS)

Newspapers in German

Newspapers from Austria