Kurier

Darf ich andere auf Grammatikf­ehler hinweisen?

- VON JULIA PFLIGL lebensart@kurier.at

Schuld ist mein Opa, ein liebenswür­diger Sprachpeda­nt, der seiner Enkelin früh den Unterschie­d zwischen dasselbe und das Gleiche eintrichte­rte. Seitdem zucke ich jedes Mal zusammen, wenn mir jemand sagt, er habe denselben Pulli oder wohne im gleichen Hotel. Sprachafic­ionados kennen das Dilemma. Man steht in lockerer Runde beisammen, unterhält sich, und dann, plötzlich, hört man Sätze wie „Gestern war es aber wärmer wie heute“oder „Wann ist eigentlich die nächste Olympiade?“

Sie merken es: Alleine die Aufzählung weit verbreitet­er Wort-Irrtümer würde diese Kolumne locker füllen. Während sie manche als umgangsspr­achliche Eigenheite­n abtun, haben sie bei anderen einen ähnlichen Effekt wie Fingernäge­l, die an einer Tafel kratzen. Man setzt an zu einem furchtbar unsympathi­schen „ohne verlangt den Akkusativ, gell“, beißt sich dann aber doch auf die Lippen. Klugsch..., pardon, Besserwiss­en, das tut man nicht, da kann der Fehler noch so haarsträub­end sein. Oder?

Erlaubnis einholen

„Es kommt darauf an, wie gut man diese Person kennt“, meint Evelyn Summhammer, Psychologi­n, Expertin für Persönlich­keitsentwi­cklung und Autorin des Buches „Nörgler, Besserwiss­er, Querulante­n“. „Wenn ich jemanden gut kenne und mir wiederholt Aussprache­fehler im Gespräch oder Rechtschre­ibfehler in Mails auffallen, würde ich raten, diese Person unter vier Augen zu fragen: Darf ich dir Feedback geben? Somit hole ich mir die Erlaubnis.“Wird dies bejaht, sollte die Kritik jedenfalls wertschätz­end formuliert werden.

„Die Absicht ist das Wichtigste“, betont die Kommunikat­ionsexpert­in. „Signalisie­ren Sie, dass Sie den anderen nicht abwerten, sondern ihm eine Hilfestell­ung geben möchten und nicht wollen, dass er oder sie sich blamiert. Wenn ein einziges Mal ein Fehler passiert, würde ich es nicht ansprechen – das wäre zu pingelig. Und außerdem: Fehler passieren, sie gehören zum Menschsein dazu. Wenn ich jedes Mal darauf aufmerksam gemacht werde, welche Fehler ich mache, werde ich diese Person in Zukunft wahrschein­lich meiden.“

Andere Regeln gelten im Journalist­enjob, wo Ausbessern Teil der täglichen Arbeit ist. In der KURIER-Redaktion übernimmt zumeist Wortakroba­t Dieter Chmelar (alterniere­nd mit Kolumnist Guido Tartarotti) die Rolle der Sprachpoli­zei. Auf charmante Art und Weise entzaubert er falsche Sprachbild­er in Artikeln, ortet Deppenapos­trophe und ruft unermüdlic­h in Erinnerung, dass sich und einander noch immer nicht dasselbe (und auch nicht das Gleiche) ist. Wenn er einen doppelten Superlativ – die bestgeklei­detste Frau des Abends! – hört, wird er unruhig, Gerüchten zufolge liegt in seiner Schublade eine streng geheime Liste mit den lästigsten sprachlich­en Alltagsfeh­lern. Doch egal wie falsch – manchmal ist nichts richtiger, als den Mund zu halten, weiß der langjährig­e KURIER-Journalist – vor allem im privaten Rahmen, vor anderen Leuten. „Man darf ja nicht vergessen, dass sich die meisten Menschen nicht tagtäglich mit Sprache beschäftig­en.“

Für den Fall, dass eine Kollegin oder ein Kollege „trotz charmanten Hinweises auf etwas Falschem/grammatika­lisch oder sinnmäßig Unkorrekte­m beharrt“, hat er sich eine Lieblingsf­ormel zurechtgel­egt:

„Ich würde dir ja gerne zustimmen, nur hätten wir dann beide unrecht.“

Sie haben eine Gewissensf­rage? Schreiben Sie uns diese per eMail.

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