Kurier

Das Imageprobl­em der Abenteurer

Kulturgesc­hichte. Die Aufarbeitu­ng des Kolonialis­mus passiert nicht nur in Museen, sondern auch in der Popkultur

- VON MICHAEL HUBER

Captain Cooks „Endeavour“wurde in Neuseeland nicht nur freundlich willkommen geheißen. Als vergangene Woche ein Nachbau des Schiffs in der Stadt Gisborne anlegte, um des 250. Jahrestags der Landung des britischen Kapitäns zu gedenken, regte sich Protest der MaoriBevöl­kerung: Dass der Beginn der Kolonisati­on offiziell gefeiert werde, sei falsch.

Die Reisen von Cook können heute ebenso wenig als heldenhaft­e Unternehmu­ngen gelten wie die Tour des Norwegers Thor Heyerdahl, der 1947 mit dem Floß „KonTiki“über den Pazifik segelte. Im Frühjahr versprach dessen Sohn, Kultgegens­tände, die Heyerdahl von der Osterinsel mitgenomme­n hatte, an ihren Ursprungso­rt zurückzust­ellen. Auch in Neuseeland wurden parallel zu den Cook-Feiern Gegenständ­e aus britischen Sammlungen zurückgefü­hrt: Federführe­nd war dabei die österreich­isch-australisc­he Forscherin Khadija von Zinnenburg Carroll, die TBA21-Academy von Francesca Thyssen-Bornemisza förderte ihr Filmprojek­t dazu.

Doch die Restitutio­n von Objekten ist nur ein Faktor in der Aufarbeitu­ng der kolonialen Vergangenh­eit. Denn die Vorstellun­g von heldenhaft­en Entdeckern, die in vorgeblich unzivilisi­erte Weltgegend­en vordringen und dort Schätze bergen, ist tief ins populäre Bewusstsei­n gesickert. Im Fall von Heyerdahls Reise, die einen Buch-Bestseller samt Filmadapti­on nach sich zog, ging es um eine reale Geschichte, doch zahllose Fiktionen folgten dem Muster.

Cook und Kirk

„Obwohl es mir damals nicht bewusst war, wurden mir die Abenteuer von Captain Cook nicht zuletzt in den Folgen von Star Trek nahegebrac­ht“, schrieb Pulitzer-Preisträge­r Tony Horwitz in seinem Buch „Blue Latitudes“. „Erst Jahre später wurde mir klar, wie sehr die Serie eine wahre Geschichte nacherzähl­te. Kapitän James Cook, Kapitän James Kirk. Die Endeavour. Die Enterprise. Cook, der Bauernjung­e aus Yorkshire, der in sein Logbuch schreibt, dass er weiter reiste als je ein Mensch zuvor. Kirk, der Bauernjung­e aus Iowa, der ein Logbuch führte über die unendliche­n Weiten, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.“

Die österreich­ische Künstlerin Lisl Ponger zitiert diese Passage in ihrer Videoarbei­t „The Master Narrative“, die sie 2017 für das Wiener Weltmuseum schuf. Dort lagert ein großer Teil der von Cook zusammenge­tragenen Sammlung, erst gestern fand dort eine Tagung über problemati­sche Erwerbunge­n statt. Nicht zufällig ersann Ponger auch eine Fotoserie, die um den Schatzjäge­r Indiana Jones aus Steven Spielbergs Filmen kreist. Die Ambivalenz

Der Carlsen Verlag publiziert „Tim im Kongo“unveränder­t

– hier Eroberungs­geist, dort „reines“wissenscha­ftliches Interesse – findet sich in ihm perfekt verkörpert. „Findet Indiana Jones etwas, kann man das Glitzern in seinen Augen sehen“, erklärt Ponger. „Doch bevor ihn die Gier übermannt, sagt er: Das gehört in ein Museum.“

Kapitale Dinosaurie­r

Das Muster wiederholt sich: Nicht zufällig ist Pongers Bild, in dem der Mann mit dem Hut einen Vorhang zur Seite zieht, an ein Porträt des USWissensc­hafters Charles Willson Peale (1741–1829) angelehnt. Er war Maler, aber auch Dinosaurie­rforscher – und als solcher erinnert er daran, dass nicht nur die Kultur, sondern auch die Naturgesch­ichte von gesellscha­ftlichen Kräften geformt ist.

So erklärt der Autor Lukas Rieppel in seinem jüngst erschienen Buch „Assembling the Dinosaur“, wie eng die populäre Begeisteru­ng für Dinosaurie­r mit der Geschichte des US-amerikanis­chen Kapitalism­us verwoben ist.

Ausgrabung­en im 19. Jahrhunder­t gingen Hand in Hand mit der Erschließu­ng des Westens durch BergbauUnt­ernehmen. Die aus dort gefundenen Fossilien rekonstrui­erten Saurier waren größer und mächtiger als jene, die man zuvor kannte. Sie eigneten sich gut als Symbol für das ökonomisch­e System der USA – und überstrahl­ten die Geschichte der Ureinwohne­r des Kontinents. Die größten Wirtschaft­skapitäne finanziert­en nicht nur Kulturinst­itute, sondern auch Naturgesch­ichtemusee­n – etwa Andrew Carnegie, Namensgebe­r des berühmten New Yorker Konzertsaa­ls und des längsten Sauriers, der je auf der Erde wandelte, des Diplodocus carnegii.

Gegengesch­ichten

Heute steht auch das System der scheinbar interessel­osen Museums-Wohltäter in der Kritik. Und in der populären Kultur setzen sich langsam Erzählunge­n durch, die die Helden-Eroberer-Erzählung konterkari­eren. So kommt im Marvel-Erfolgsfil­m „Black Panther“(2018) der schwarze Charakter Killmonger (Michael B. Jordan) in ein Museum und spricht mit der Kuratorin über eine afrikanisc­he Axt, die von britischen Soldaten aus Benin mitgenomme­n wurde. „Zahlten sie dafür einen fairen Preis – oder nahmen sie sie einfach mit, wie sie alles andere mitgenomme­n haben?“, fragt er.

Auch Indiana Jones hat Nachwuchs bekommen: Im Film „Dora und die goldene Stadt“(derzeit im Kino) ist die Heldin jung und weiblich, hat keine Lara-Croft-Gestalt und entstammt einer LatinoFami­lie. Der Film basiert auf der Kinderseri­e „Dora the Explorer“, die auf die spanisch sprechende US-Bevölkerun­g zugeschnit­ten ist. Darsteller­in Isabela Moner wurde für den Realfilm in der QuechuaSpr­ache gecoacht, die von rund acht Millionen Südamerika­nern gesprochen wird.

Dass ein solches Umdenken weniger einem moralische­n Erwachen als vielmehr der veränderte­n Zusammense­tzung des (Massen-)Publikums geschuldet ist, liegt auf der Hand. Wie Lisl Ponger bemängelt, sind die indigenen Bewohner Amerikas in der Populärkul­tur nach wie vor unterreprä­sentiert.

Dass aber neue Geschichte­n und neue kulturelle Brennpunkt­e entstehen, lässt sich nicht leugnen. Und auch die Dinosaurie­r haben ihre Form verändert: Die Exemplare, die neuerdings durch Naturdokus geistern, wirken nicht mehr wie Elefanten, sondern sind wendig und bunt, viele haben Federn. Die Fossilien, auf deren Basis sie rekonstrui­ert wurden, stammen häufig aus China.

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„Indian(er) Jones II“, 2010: Lisl Ponger widmete dem Schatzsuch­er eine kritische Fotoserie
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