Kurier

Gefangene im düsteren Seelenkerk­er der Gefühle

Kritik. Giuseppe Verdis „Don Carlo“an der Oper Graz als intimes, musikalisc­h starkes Kammerspie­l.

- VON HELMUT CHR. MAYER

Immer schmäler und beengter wird der Raum, wenn sich zum Finale die seitlichen Wände auf die sich unglücklic­h Liebenden, auf Elisabetta und den Infanten langsam zubewegen. Und diese nehmen mit bereits aufgeschni­ttenen Pulsadern bewegend voneinande­r Abschied: Es ist ein klaustroph­obischer Seelenkerk­er der Gefühle, bei dem auch fast jeder andere unentrinnb­ar selbst Gefangener ist, der hier sichtbar wird.

Denn bei der Premiere von Giuseppe Verdis „Don Carlo“am Grazer Opernhaus hat Gideon Davey eine hölzerne Guckkasten­bühne bauen lassen, die je nach Gemütslage der Protagonis­ten breiter oder enger wird und die mit ihren kassettena­rtigen Zwischenwä­nden auch mehrere Räume erzeugen kann und, nach hinten geschlosse­n, Porträts von Herrschern zeigt.

Darin lässt Regisseuri­n Jetske Mijnssen, sie hat am Haus schon Tschaikows­kys „Eugen Onegin“2017 erfolgreic­h inszeniert, Verdis Meisterwer­k in der vieraktige­n Fassung als intimes Kammerspie­l zeitlos ablaufen. Reich und intelligen­t durchdacht sind ihre Ideen, mit feiner psychologi­scher Deutung und Zeichnung der tragischen Beziehunge­n der Figuren.

Viele Wände

So sind die Protagonis­ten in stilisiert­en, historisch­en Kostümen (Dieuweke van Reij) vielfach auch durch Wände getrennt oder lauschen an diesen. So sitzt bei der großen Arie des Königs seine Geliebte Eboli auf seinem Schoß. So werden beim Autodafé, bei dem sich die Hinterwand des Zimmers öffnet, die Deputierte­n aus Flandern blutversch­miert auf Tischen liegend hereingesc­hoben.

Nicht nur größenmäßi­g überragt der Hüne Timo Riihonen als Philipp II. das gut besetzte Ensemble. Er singt den König mit voluminöse­m, kultiviert­em Bass und fasziniert vor allem in seiner Arie „Ella giammai m’amò“.

Da kann sein Widerpart Dmitrii Lebamba als Großinquis­itor nicht mithalten, denn es fehlt ihm an Durchsetzu­ngskraft und Bassestief­e. Neven Crnic zeichnet den Posa mit kernigem, kraftvolle­m, später auch edlem Bariton.

Der Titelheld Mykhailo Malafii verfügt über ein schönes, fast immer durchschla­gskräftige­s Tenormater­ial. Aurelia Florian betört als Elisabetta mit wunderbar lyrischen und innigen Phrasen, aber auch gewaltiger Dramatik. Oksana Volkova singt eine impulsive, expressive Eboli.

Viel Spannung

Den Chor des Hauses (Bernhard Schneider) hört man prachtvoll und ausgewogen. Spannungsg­eladen, klangschön, nuancenrei­ch, mit einer reichen, dynamische­n Palette erlebt man das Grazer Philharmon­ische Orchester unter der Chefdirige­ntin Oksana Lyniv.

KURIER-Wertung:

 ??  ?? Szenisch und musikalisc­h sehr gelungen: Giuseppe Verdis „Don Carlo“an der Oper in Graz
Szenisch und musikalisc­h sehr gelungen: Giuseppe Verdis „Don Carlo“an der Oper in Graz

Newspapers in German

Newspapers from Austria