Marthe war Maria – Modell und Muse
Pierre Bonnard: „Akt im Spiegel“, 1931
Ein Maler und seine Modelle. Pierre Bonnards geheimnisvolle Muse ist Marthe: Die gesichtslose und ewig junge Frau taucht in zahlreichen Gemälden auf. Sie inspiriert ihn zu kühnen Bildkompositionen, die ihr etwas Schwebend-Labiles geben. Marthe de Méligny ist ab 1893 vier Jahrzehnte lang seine Partnerin und im heimischen Ambiente immer wieder aufs Neue sein Motiv. Meist in intimen Situationen: beim Baden, beim Sich-Ausziehen, beim Frisieren.
Marthe finden wir vor allem in zahllosen Badezimmerbildern, die oft mehr Kühle als Wärme ausstrahlen. Sie leidet in späteren Jahren an Hautproblemen, die ihr das Baden in der Wanne zur – ärztlich verordneten – Obsession machen.
Als Bonnard noch mit Berufsmodellen arbeitet, erinnert sich später eines von ihnen: „Er wollte nicht, dass ich still stand. Sein Wunsch war die Bewegung; er bat mich, ihn zu vergessen und vor ihm zu ,leben‘. Er wollte das Leben und gleichzeitig die Abwesenheit.“
Seine Frauenakte beziehen ihre Schönheit aus ihrer Natürlichkeit. Sie sind schön, weil sie so sehr Frau sind. Um die Jahrhundertwende entstehen erotisch aufgeladene Aktbilder, die Bonnard zum Teil zusammen mit Marthe zeigen, etwa „Mann und Frau“(1900). Aber jenseits der Kunst scheint das Leben mit ihr nicht immer einfach gewesen zu sein. Marthe leidet mit fortschreitendem Alter an körperlichen und wohl auch psychischen Problemen.
In Briefen klagt der Maler über nicht heilbare „Wahnvorstellungen“. Später zieht sich Marthe fast zur Gänze in die Abgeschiedenheit ihres gemeinsamen Landhauses „Le Bosquet“in La Cannet zurück. Und Freunde des Paares bezeichnen sie spöttisch als Bonnards „Kerkermeister“.
Auf dem Bild mit dem Titel „Das weiße Tischtuch“(1925) beugt sich Marthe rechts über den gedeckten Tisch. Links vorne blickt uns eine junge Frau an: Mit dem Modell Renée Monchaty verbindet Bonnard von 1920 bis 1923 eine Liebesbeziehung. Ihr macht er 1921 einen Heiratsantrag.
Aber Marthe durchkreuzt seine Pläne, zwingt ihn, die Verlobung aufzulösen. Und Renée nimmt sich das Leben, kurz nachdem Bonnard und Marthe geheiratet hatten. Viele Werke, für die Renée Modell gestanden hatte, vernichtet Bonnard. Und erst 1925 – nach 30 Jahren „wilder Ehe“– erfährt der Maler bei der standesamtlichen Trauung Marthes wahren Namen: Maria Boursin.