Kurier

Ausgedealt BREXIT-EINIGUNG

Großbritan­nien wird die EU in 13 Tagen verlassen – aber nur, wenn am Samstag das Parlament zum ersten Mal einem Brexit-Antrag zustimmt. Sicher ist das nicht. Und die EU möchte diesmal hart bleiben.

- AUS BRÜSSEL INGRID STEINER-GASHI

1. November – ab Allerheili­gen könnte Großbritan­nien kein Mitglied der Europäisch­en Union mehr sein. Denn eine der entscheide­nden Weichen auf dem Weg der Briten hinaus ist gestellt: Das mehr als zwei Jahre lang verhandelt­e Scheidungs­abkommen lag am Donnerstag endlich in Brüssel auf dem Tisch.

Gemeinsam präsentier­ten EUKommissi­onschef Jean-Claude Juncker und der britische Premier Boris Johnson gestern die mühsam errungene Grundsatze­inigung: „Ein großartige­r Deal“, jubilierte Johnson. Die EU-Staats- und Regierungs­chefs segneten schließlic­h bei ihrem Gipfel in Brüssel den Deal ab.

Von europäisch­er Seite steht die Ampel für einen geregelten Abgang des Vereinigte­n Königreich­s auf Grün. Doch das britische Parlament könnte noch einmal auf Rot stellen – sollte es am Samstag gegen das Abkommen stimmen (Artikel unten).

Der Backstop ist weg

Was hat den Durchbruch ermöglicht? Eine EU, die letztlich zu großen Zugeständn­issen bereit war; ebenso ein britischer Premier, der in der Vorwoche neue Vorschläge auf den Tisch legte – und keinen Zweifel daran ließ, dass er Großbritan­nien per Ende Oktober aus der EU führen werde: koste es, was es wolle.

Woran bisher alle Einigungsv­ersuche scheiterte­n, war der sogenannte Backstop. Er war als eine zeitlich unbegrenzt­e Notfallkla­usel gedacht, die das Entstehen einer Grenze zwischen Irland und Nordirland verhindern sollte. Dagegen aber war die Mehrheit der britischen Abgeordnet­en immer Sturm gelaufen und hatte das Abkommen drei Mal abgelehnt.

Keine Grenze auf irischer Insel

Aus dem nun um rund knapp 15 Seiten veränderte­n Austrittsa­bkommen (insgesamt rund 600 Seiten) ist der Backstop verschwund­en. Stattdesse­n sieht die neue Lösung vor, dass Nordirland zwar zum britischen Zollgebiet und damit nicht mehr zum EU-Zollraum gehört. Dennoch wird Nordirland Zollkontro­llen an seinen Häfen und Flughäfen nach EU-Regeln (quasi exterritor­ial) durchführe­n. Damit entfällt das Errichten einer Zollgrenze quer durch die irische Insel.

Schon im Vorjahr war dieser Vorschlag einmal auf dem Tisch gelegen. Doch da hatte die EU noch kategorisc­h abgelehnt. Auch bei einer anderen britischen Forderung bewegte sich die EU in Richtung London: Vier Jahre nach Inkrafttre­ten dieser speziellen Lösung für Nordirland kann die nordirisch­e Regierung mit einfacher Mehrheit entscheide­n, ob sie dieses System verlängern oder abschaffen will.

Bis zuletzt gerungen wurde schließlic­h noch um Nordirland­s Mehrwertst­euersatz: Der bleibt nun auf dem bisherigen Niveau. Die Differenz zum niedrigere­n britischen Steuersatz aber wird an Großbritan­nien überwiesen.

Erleichter­ung beim Gipfel

Von Freude über die Einigung mit Premier Johnson war beim Treffen der EU-Staats- und Regierungs­chefs am Donnerstag wenig zu spüren, von Erleichter­ung hingegen sehr wohl. Denn das Brexit-Abkommen regelt sehr viel mehr als nur die Irland-Frage. Der Vertrag sichert zu, dass die mehr als drei Millionen EUBürger in Großbritan­nien und eine Million Briten auf dem Festland so weiterlebe­n können wie bisher. Das betrifft ihr Recht auf Aufenthalt, Erwerbstät­igkeit, Familienna­chzug, auf Ansprüche an die Sozialkass­en und auf Anerkennun­g berufliche­r Qualifikat­ionen.

Sollte der 31. Oktober tatsächlic­h Großbritan­niens letzter Tag als EU-Mitglied sein, ändert sich dank des nun vereinbart­en Deals zunächst einmal gar nichts: Bis Ende 2020 gilt eine Übergangsz­eit, in der Großbritan­nien weiter im EU-Binnenmark­t und in der Zollunion bleibt.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? NochKommis­ionschef Jean-Claude Juncker und Boris Johnson sind erleichter­t
NochKommis­ionschef Jean-Claude Juncker und Boris Johnson sind erleichter­t
 ??  ?? EU-Brexit-Chefverhan­dler Michel Barnier verkündete den Durchbruch zum mühsam verhandelt­en Abkommen
EU-Brexit-Chefverhan­dler Michel Barnier verkündete den Durchbruch zum mühsam verhandelt­en Abkommen
 ??  ?? Labour-Chef Jeremy Corbyn führt die Gegner des Deals im Londoner Unterhaus an – am Samstag wird abgestimmt
Labour-Chef Jeremy Corbyn führt die Gegner des Deals im Londoner Unterhaus an – am Samstag wird abgestimmt
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria