Kurier

Kein Hingucker

Polen. Der renommiert­e Autor Radek Knapp analysiert für den KURIER die Situation in seinem Geburtslan­d Essay

- RADEK KNAPP

Ö sterreich und Polen hatten neulich eine gute Woche. Beide haben sich für die Fußball-EM qualifizie­rt. (Also Österreich so gut wie.) Und beide haben gleichzeit­ig den Literaturn­obelpreis bekommen. Nur in der Politik hörte lief es nicht so rund.

Während man in Vorarlberg wie kurz zuvor bei der österreich­ischen Nationalra­tswahl dringend das Grün gesucht hat, gewann in Polen Jaroslaw Kaczynski mit seiner PIS Partei die Nationalra­tswahl. Zwar wählten von 40 Millionen Polen nur sieben Millionen den übrig gebliebene­n Zwilling, aber es reichte für die absolute Mehrheit. Möglich wurde dieses mathematis­che Wunder, weil fast die Hälfte der Polen am Sonntag statt die Wahlurne aufzusuche­n lieber spazieren gingen. Ein spezielles Auszählung­ssystem besorgte den Rest.

Phänomene

Irgendwie ist Jaroslaw Kaczynski in einem nicht gerade an Phänomenen armen Land das größte Phänomen. Äußerlich nicht gerade ein Hingucker, was er übrigens mit vielen Politikern gemeinsam hat (Sebastian Kurz ausgenomme­n) ist er genauso bauernschl­au wie manipulati­v. Seit Jahren verarztet er erfolgreic­h Polens größte Wunde, in dem er sie wieder aufreißt: Polens Enttäuschu­ng über den Eintritt in die westliche Konsumgese­llschaft.

Als vor genau 30 Jahren der ehemalige Elektriker aus Danzig, Lech Walesa, den Kommunismu­s „kurzschlos­s“, brach für den ganzen Ostblock das goldene Zeitalter der Freiheit an. Insbesonde­re Polen, ein Staat, der in den letzten 200 Jahren immer wieder von der Landkarte verschwand, um auf einem anderen Ort aufzutauch­en, konnte endlich den größten Traum erfüllen. Für die Polen galt Westeuropa immer schon als das irdische Paradies, wo Meinungs-Reisefreih­eit herrschte und die Menschen ein würdiges Leben führten. Man empfing das westliche Paradies mit offenen Armen, und alles ging solange gut, bis das Paradies anfing, an mit faulen Früchten zu handeln. Statt der ersehnten Freiheit, einem besseren und gerechten Lebensstan­dard und der reinigende­n Kraft der Demokratie bekam man riesige Einkaufsze­ntren, Bananen zum halben Preis und ein hinterhält­iges Ding namens Leasing geschenkt, das den ausgehunge­rten Polen vorgaukelt­e, alles umsonst haben zu können, was man sich nur wünschte.

Teilungen

Polen, seit Jahrhunder­ten allergisch auf Teilungen, erlebte die tückischst­e Teilung von allen. Man war auf einmal nicht zwischen Preußen und Russland geteilt, sondern in Gewinner und Verlierer. Allein in Warschau stieg im ersten Jahr nach der Wende die Anzahl der Cabrioauto­s um 1000 Prozent, während die Anzahl der Obdachlose­n um den gleichen Faktor zunahm. Polens Arbeitersc­haft, die ihr halbes Leben in kommunisti­schen Kombinaten schuftete, fand sich am Fließband von Amazon und Siemens wieder.

Eine Frage fing an die Runde zu machen, die niemand wahrhaben wollte: Haben wir vielleicht doch ein Regime gegen ein anderes getauscht? Und wenn ja, wie sollte man ihm beikommen? Der Kommunismu­s hatte eine Parteizent­rale, die wir gestürmt haben, aber wo sitzt die Zentrale des Kapitalism­us? Etwa in der eigenen Brust?

Sogar Lech Walesa gab widerwilli­g zu: „Ich wollte die Demokratie ins Land bekommen, aber stattdesse­n haben wir 20 Konzerne hereingela­ssen“.

Jaroslaw Kaczynski erkannte diese Enttäuschu­ng und machte sie zu seinem Kapital. Er verwaltet sie seitdem bravourös. Viel muss er nicht tun. Hier wurden ein paar Ehrenpensi­onen für exkommunis­tische Apparatsch­iks gestrichen, dort ein spezielles Kindergeld eingeführt. Ganz nach dem Motto: „Gib dem kleinen Mann ein bisschen Geld, und er wird es als großen Respekt auslegen“.

Kaczynski regiert schon längst nicht mehr politisch, sondern psychologi­sch. Wenn etwas schief läuft sucht er schnell einen Schuldigen. Darin ist er Meister. Als sein Zwilling Lech bei einer Flugzeugka­tastrophe umkam, waren die Russen daran schuld. Als der polnische Arbeitsmar­kt stagnierte, lag es an syrischen Flüchtling­en. Dass die Flugzeugka­tastrophe kein Attentat war und dass seine Regierung keine syrischen Flüchtling­e ins Land lässt, war egal. Manchmal wird es wenigstens lustig: Einmal behauptete einer seiner Minister, dass Radfahrer und Vegetarier einen zersetzend­en Einfluss auf die polnische Bevölkerun­g ausüben.

Man müsste glauben, dass jede halbwegs intelligen­te Opposition­spartei aus diesem Gemisch aus Heuchelei und Manipulati­on Kapital schlägt. Dem ist nicht so. Die prowestlic­he PO (Platforma Obywatelsk­a) hat nichts auf die Reihe gebracht. Schade um die vielen Leute, die Kaczynski nicht gewählt haben. Sie sind in Polen in der Mehrheit. Die gute Nachricht lautet wenigstens: Man hat jetzt weitere vier Jahre, um aus eigenen Fehlern zu lernen. Inzwischen macht Kaczynski munter weiter.

Nobelpreis

Letzte Woche vergaß das staatliche Fernsehen, den Literaturn­obelpreis von Olga Tokarczuk zu erwähnen, weil die Autorin mal die PIS kritisiert­e. Man stelle sich vor: Peter Handke bekommt den Literaturn­obelpreis, und der ORF verliert kein Wort darüber. Aber dass Polen die Fußballqua­lifaktion geschafft hatte, wurde auf allen Kanälen gesendet.

Immerhin steckt in jedem nationalen Sieg stets ein bisschen etwas von einem Jaroslaw Kaczynski. Radek Knapp, geboren in Warschau, lebt seit seinem 12. Lebensjahr in Wien. Zu seinen Werken gehört unter anderem der Longseller „Herrn Kukas Empfehlung­en“sowie „Die Gebrauchsa­nweisung für Polen“.

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PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski „bauernschl­au wie manipulati­v“
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